Wieso braucht es überhaupt ein Jugendstrafrecht?
In der Regel ist die persönliche Entwicklung in jungen Jahren noch nicht abgeschlossen. Daher besitzen Jugendliche im Großen und Ganzen noch nicht die Verantwortungsreife eines Erwachsenen. Diesem Umstand wird im Jugendstrafrecht in vielerlei Hinsicht Rechnung getragen:
Wenn Jugendliche eine Straftat begehen, trifft sie nicht der gleiche Schuldvorwurf wie einen Erwachsenen. Denn ihre Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, ist in der Regel geringer ausgeprägt. Zudem sollen gezielte Maßnahmen (siehe unten) dazu beitragen, dass diese Jugendlichen nicht erneut in Konflikt mit dem Gesetz geraten. Die noch andauernde persönliche und soziale Entwicklung im Prozess des Heranwachsens machen dies besonders aussichtsreich. Das vorrangige Ziel im Jugendstrafrecht ist daher nicht die Bestrafung bzw. der Schuldausgleich für begangenes Unrecht, sondern die Verhinderung einer erneuten Straffälligkeit der betroffenen Jugendlichen (§ 2 Abs. 1 JGG).
Wird gegen junge Menschen ein Strafverfahren geführt, so muss außerdem auch bei der Gestaltung des Verfahrens ihrem Alter und dem damit einhergehenden Entwicklungsstand Rechnung getragen werden. Denn in aller Regel ist es für sie im Vergleich zu erwachsenen Beschuldigten schwieriger, den Verlauf des Verfahrens nachzuvollziehen, die eigene Sichtweise zum Ausdruck zu bringen und sich selbst gegen den Tatvorwurf zu verteidigen. Als Tatverdächtige und Beschuldigte in einem Jugendstrafverfahren besteht für sie deshalb auch nach Vorgaben der Europäischen Union sowie Bestimmungen und Empfehlungen des Europarates und der Vereinten Nationen ein besonderer Schutzbedarf.
Für wen gilt das Jugendstrafrecht?
Aus den zuvor genannten Gründen enthält das Jugendgerichtsgesetz (JGG) eigene Regelungen für die Reaktion der Strafjustiz auf Straftaten von Jugendlichen, die zur Tatzeit mindestens 14 Jahre, aber noch nicht 18 Jahre alt sind. Die Regelungen betreffen insbesondere die Rechtsfolgen (also vor allem die vom Jugendgericht zu verhängenden Maßnahmen und Sanktionen), die das Jugendgericht verhängen kann, sowie den Ablauf des Strafverfahrens gegen jugendliche Beschuldigte. Auch Heranwachsende, die zur Tatzeit mindestens 18 Jahre, aber noch nicht 21 Jahre alt sind, fallen dann weitgehend unter die Vorschriften des JGG, wenn sich ihre soziale Werteentwicklung oder ihre geistige Entwicklung zum Tatzeitpunkt noch auf dem Stand eines Jugendlichen befand oder wenn es sich bei der Tat um eine typische Jugendverfehlung (z. B. Ladendiebstahl als Mutprobe, Schlägereien oder Beleidigungen aus Imponiergehabe) handelt (vgl. § 105 Abs. 1 JGG). Wenn jedoch keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt ist, werden auch Heranwachsende nach dem allgemeinen, für Erwachsene geltenden Strafrecht bestraft.
Welche Maßnahmen kann das Jugendgericht verhängen?
Das Jugendstrafrecht knüpft zwar an die Straftatbestände des allgemeinen Strafrechts im Strafgesetzbuch (StGB) an. Die dort vorgesehenen Strafrahmen (z. B. Mindest- oder Höchstmaß einer für bestimmte Straftaten angedrohten Freiheitsstrafe, Möglichkeit einer Geldstrafe) und die im Einzelfall anzuwendenden Regeln der Strafzumessung (z. B. die objektiven Umstände der Tat, das Vorliegen eines Geständnisses, bestehende Vorstrafen) werden jedoch im Jugendgerichtsgesetz (JGG) durch eigenständige Regelungen zu den jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen ersetzt. Dies beruht neben dem geringeren Schuldvorwurf gegenüber jungen Menschen auf den Erkenntnissen etwa der (Sozial-)Pädagogik, Entwicklungspsychologie und der Neurologie. Hiernach befinden sich junge Menschen regelmäßig noch in einem Prozess der persönlichen und sozialen Entwicklung. Daher bietet sich die Chance, ihre Einstellungen und ihr Verhalten durch geeignete Maßnahmen (siehe nachfolgend) so zu verändern, dass sie nicht erneut in Konflikt mit dem Gesetz geraten. Das JGG stellt hierfür weitaus vielfältigere Maßnahmen und Mittel zur Verfügung als das Erwachsenenstrafrecht, das sich hauptsächlich auf Geldstrafen und auf Freiheitsstrafen beschränkt.
Bei all dem geht es nicht um ein generelles Bestreben nach größtmöglicher Milde, wie manche zu Unrecht behaupten, sondern um Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung und Resozialisierung.
Die Maßnahmen im Überblick:
Die Rechtsfolgen, die das Jugendgericht verhängen kann, umfassen vor allem: Sogenannte Erziehungsmaßregeln, die die Lebensführung regeln sollen (z. B. Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs oder Anti-Aggressions-Training, Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs). Sie umfassen zudem sogenannte Zuchtmittel, das sind Maßnahmen, die das begangene Unrecht verdeutlichen sollen, aber noch keine Jugendstrafe darstellen (z. B. Erbringung von Arbeitsleistungen, Wiedergutmachungsleistungen, etwa die Reparatur oder Ersetzung eines beschädigten Gegenstandes, Schadensersatzzahlungen oder bestimmte Hilfstätigkeiten für Geschädigte, aber auch bis zu vierwöchiger Jugendarrest).
Falls notwendig, kann auch eine Jugendstrafe - eine speziell für Jugendliche und Heranwachsende geregelte und ausgestaltete Form der Freiheitsstrafe - von mindestens sechs Monaten bis zu zehn Jahren (bei nach Jugendstrafrecht verurteilten Heranwachsenden auch bis zu 15 Jahren) verhängt werden. Im Ergebnis kommt mit dem Jugendstrafrecht nicht ein grundsätzlich milderes, sondern ein im Hinblick auf die Verhinderung künftiger Straffälligkeit und die Wiedereingliederung der jungen Betroffenen besser geeignetes Recht zur Anwendung.
Welche Besonderheiten gelten im Jugendstrafverfahren?
Für Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende sind besondere Jugendgerichte zuständig. Die dort eingesetzten Jugendrichterinnen und Jugendrichter sowie Jugendstaatsanwältinnen und Jugendstaatsanwälte sollen in der Lage sein, dem Alter und Entwicklungstand sowie der erzieherischen Zielsetzung angemessen mit den jungen Personen umzugehen. Sie sollen zudem über besondere Kenntnisse beispielsweise in Kriminologie, Pädagogik und Jugendpsychologie verfügen. Besonderheiten des Jugendstrafverfahrens sind etwa die grundsätzlich vorgesehene Beteiligung der Jugendgerichtshilfe (wahrgenommen von den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe und geregelt insbesondere in § 38 JGG und § 52 des Sozialgesetzbuchs VIII), Erweiterungen der notwendigen Verteidigung, umfassendere Belehrungs- und Informationspflichten, Nichtöffentlichkeit der jugendgerichtlichen Hauptverhandlung sowie erweiterte Möglichkeiten einer informellen Verfahrenserledigung.