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Schutz bei überlangen Verfahren

Der Schutz vor überlangen Gerichtsverfahren wurde ausgebaut. Jeder Bürger hat nunmehr das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Zeit. Das neue Gesetz zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren sieht eine Entschädigung bei unangemessen langen Prozessen vor.

Die Neuregelung zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren ist am 3. Dezember 2011 in Kraft getreten (vgl. BGBl. I Nr. 60 vom 2. Dezember 2011, S. 2302). Zum 1. Januar 2012 sind erste Änderungen des Gesetzes in Kraft getreten (vgl. Art. 1 Nr. 5, 6 des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes, BGBl. I Nr. 64 vom 13. Dezember 2011, S. 2554). Die Änderungen betreffen die örtliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte, die sich künftig danach richtet, in welchem Bezirk das als überlang gerügte Verfahren stattgefunden hat, den Kreis der Entschädigungsberechtigten im Strafverfahren (keine Einbeziehung von Privatklägern) und die Befugnis von Gerichtspräsidenten und ihren Vertretern zur Mitwirkung in Entschädigungsverfahren (Streichung der Ausschlussklausel).

Das Gesetz sieht folgendes Verfahren vor: In einem ersten Schritt müssen die Betroffenen das Gericht, das nach ihrer Ansicht zu langsam arbeitet, mit einer Rüge auf die Verzögerung hinweisen. Auf diese Weise erhalten die Richter stets die Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen. Die Verzögerungsrüge hilft daher, überlange Verfahren von vornherein zu vermeiden. Wer keine Rüge erhoben hat, kann auch keine Entschädigung verlangen. Das bedeutet: Man kann einem Verfahren nicht einfach seinen langen Lauf lassen und später Entschädigung geltend machen.

Wenn sich das Verfahren trotz der Rüge weiter verzögert, kann in einem zweiten Schritt eine Entschädigungsklage erhoben werden. In diesem Entschädigungsverfahren bekommen die betroffenen Bürger für die sog. immateriellen Nachteile aufgrund des überlangen Verfahrens, wie z. B. seelische und körperliche Belastungen, in der Regel 1.200 Euro für jedes Jahr, soweit eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist. Neben dem Ausgleich für die immateriellen Nachteile ist zusätzlich eine angemessene Entschädigung für materielle Nachteile vorgesehen, etwa bei Insolvenz eines Unternehmens infolge des überlangen Gerichtsverfahrens.

Die Geldentschädigung für materielle Nachteile hängt nach der neuen Regelung nicht davon ab, ob es eine Wiedergutmachung auf andere Weise gibt. Hier kommt es aber darauf an, ob das Entschädigungsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass ein solcher Nachteil tatsächlich auf der Überlänge des Gerichtsverfahrens beruht. Nur soweit das der Fall ist, kann eine angemessene Geldentschädigung für den materiellen Nachteil verlangt werden. Diese angemessene Entschädigung umfasst bei materiellen Nachteilen den Ausgleich für Vermögenseinbußen. Ein entgangener Gewinn kann dagegen nicht eingeklagt werden.

Der neue Entschädigungsanspruch ist verschuldensunabhängig. Es kommt also nicht darauf an, ob den Richtern, den Gerichts- oder Landesjustizverwaltungen ein Vorwurf zu machen ist. Neben der neuen Entschädigung sind zusätzlich – wie bisher schon – Amtshaftungsansprüche denkbar, wenn die Verzögerung auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung beruht. Dann kann umfassend Schadensersatz verlangt werden, etwa auch der Ersatz von entgangenem Gewinn.

Der Schutz vor überlangen Verfahren wird positive Effekte für die Justiz insgesamt bringen. Wo viele berechtigte Klagen wegen der Verfahrensdauer erfolgen, werden die Verantwortlichen über Verbesserung bei Ausstattung, Geschäftsverteilung und Organisation nachdenken müssen. Das neue Gesetz stärkt somit nicht nur den Rechtsschutz vor deutschen Gerichten, sondern auch die deutschen Gerichte selbst.

Deutschland steht im internationalen Vergleich gut dar

Bei der durchschnittlichen Prozessdauer steht Deutschland im internationalen Vergleich zwar gut dar, doch kommt es auch hierzulande immer wieder zu überlangen Gerichtsverfahren. Solche überlangen Prozesse sind eine starke persönliche und finanzielle Belastung der betroffenen Parteien. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat seit vielen Jahren das Fehlen eines besonderen Rechtsschutzes bei unangemessen langen Verfahren in Deutschland beanstandet. Die erste Verurteilung Deutschlands erfolgte im Jahr 2006. Da in der Folgezeit trotz anhaltender Diskussionen zu dem Thema und zahlreicher weiterer Verurteilungen keine Regelung erfolgte, hat der EGMR im September 2010 ein sogenanntes „Piloturteil“ gegen Deutschland erlassen. Darin wird der fehlende Rechtsschutz bei überlangen Verfahren als strukturelles Defizit bemängelt und eine Frist bis Dezember 2011 zur Be-hebung dieses Defizits gesetzt. Vor diesem Hintergrund hatte das Bundesministerium der Justiz einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Betroffenen nunmehr die Möglichkeit gibt, sich gegen eine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer zu wehren.

Das neue Gesetz enthält eine Übergangsregelung. Danach sind Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten schon anhängig waren, in die Geltung der Regelung einbezogen. Sind solche Verfahren in diesem Zeitpunkt schon verzögert, muss die Verzögerungsrüge unverzüglich erhoben werden. Abgeschlossene Verfahren sind nur unter engen Voraussetzungen in die Geltung des neuen Gesetzes einbezogen, nämlich dann, wenn deren Verzögerung bereits Gegenstand einer Beschwerde beim EGMR ist oder noch werden kann, weil die sechsmonatige Frist zur Einlegung einer Beschwerde beim EGMR noch nicht abgelaufen ist.

Zahlen und Fakten zur Dauer der gerichtlichen Verfahren in den
unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten (Zahlenmaterial Erhebung 2013)1

Zivilgerichte
Bei den Zivilgerichten dauern Verfahren in der Eingangsinstanz (bundes)durchschnittlich zwar nur 4,8 Monate (Amtsgerichte) bzw. 8,7 Monate (Landgerichte). Die durchschnittliche Verfahrensdauer in den Ländern zeigt aber deutliche Abweichungen sowohl nach oben als auch nach unten. Bei den Amtsgerichten liegt die Spannweite zwischen 4,0 und 6,1 Monaten, bei den Landgerichten zwischen 6,9 und 12,5 Monaten. 14,9 % der Prozesse vor den Landgerichten dauern im Übrigen mehr als 12 Monate und 7,0% mehr als 24 Monate.

Verwaltungsgerichte
Erstinstanzliche Verfahren vor den Verwaltungsgerichten dauern im Bundesdurchschnitt 8,7 Monate. Diesem Bundesdurchschnitt stehen in den Ländern deutlich andere Zahlen gegenüber. Die kürzeste durchschnittliche Verfahrensdauer pro Land beträgt 5,2 Monate, die längste durchschnittliche Verfahrensdauer in einem Land 21,5 Monate. 5,7 % der Verfahren dauern im Übrigen mehr als 24 Monate1,9 % mehr als 36 Monate. Ähnliche Unterschiede zeigen sich bei der Verfahrensdauer vor den Oberverwaltungsgerichten als Eingangsinstanz. Hier beträgt die Durchschnittsdauer in Bezug auf das ganze Bundesgebiet 16,2 Monate. Der kürzeste Länderwert liegt demgegenüber bei 5,8 Monaten, der längste bei 32,0 Monaten. 14,1 % der erstinstanzlichen Verfahren vor den Oberverwaltungsgerichten dauern länger als 24 Monate, 9,1 % mehr als 36 Monate.

Finanzgerichte
Die Finanzgerichte brauchen durchschnittlich 15,9 Monate für ein erstinstanzliches Verfahren. Im Bundesland mit der kürzesten Dauer reichen dabei durchschnittlich 9,1 Monate, während die Bürgerinnen und Bürger im Bundesland mit der längsten Dauer mit durchschnittlich 22,2 Monaten rechnen müssen. 14,0 % der Verfahren dauern länger als 24 Monate, über 10,5 % länger als 36 Monate.

1) Quelle: Statistisches Bundesamt

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