Der 44-jährige Bundesjustizminister Marco Buschmann will das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche streichen – die Kritik daran weist er im Interview mit unserer Redaktion entschieden zurück. Ein Gespräch über Gesetze, die „nicht mehr in die Zeit passen“, und die Erfolgsaussichten für eine allgemeine Impfpflicht.
Herr Buschmann, eines Ihrer ersten Vorhaben ist die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche. Riskieren Sie damit, einen Kulturkampf um den Schutz des ungeborenen Lebens neu zu entfachen?
Das glaube ich nicht, denn wir leben im Jahr 2022. Wenn Frauen sich in der schwierigen Lebenssituation befinden, dass sie über einen Schwangerschaftsabbruch nachdenken, informieren sie sich heute erst einmal im Internet. Aber ausgerechnet die Ärztinnen und Ärzte, die am qualifiziertesten sind, um über die Frage zu informieren, was Vor- und Nachteile von Eingriffsmethoden sind, dürfen es dort nicht. Der Name der Norm ist irreführend: De facto führt das sogenannte Werbeverbot dazu, dass Ärztinnen und Ärzte nicht einmal sachlich aufklären dürfen. Das halte ich für absurd.
Was wird die Abschaffung des Werbeverbots, besser bekannt als Paragraf 219a, bewirken?
Ich möchte, dass Frauen sachliche Informationen von Ärztinnen und Ärzten einfach im Internet bekommen können. Nach derzeit geltender Rechtslage müssen sie mit einem Ermittlungsverfahren gegen sich rechnen, wenn sie auf ihrer Homepage darüber informieren, welche Methoden sie anwenden und was fachlich dafür oder dagegen spricht. Das passt nicht mehr in unsere Zeit.
Wo endet Information, wo beginnt Werbung?
Niemand muss sich Sorgen machen, dass künftig in gleicher Weise für einen Schwangerschaftsabbruch geworben werden kann wie für einen Schokoriegel oder eine Urlaubsreise. Das wird nicht passieren. Denn anpreisende Werbung ist bereits durch das ärztliche Berufsrecht ausgeschlossen.
Ein weiteres Argument von Gegnern der Aufhebung ist, dass das Schutzkonzept geschwächt wird, wenn der Termin beim Arzt bereits feststeht, also nicht mehr alle Argumente für oder gegen den Schritt abgewogen werden müssen.
Der Paragraf 219a geht auf eine Regelung zurück, die im Mai 1933 in Kraft getreten ist. Sie ist nicht Teil der Vorschriften in den Paragrafen 218 ff., die die Bedingungen einer Abtreibung regeln. Die Streichung dieses Paragrafen widerspricht dem Schutzkonzept des Bundesverfassungsgerichts für das ungeborene Leben nicht. Es ist durch die vorgeschriebene Schwangerschaftskonfliktberatung weiterhin gewährleistet, dass Frauen unabhängig von ihrer Ärztin oder ihrem Arzt über die Bedeutung des Eingriffs informiert werden. Deshalb überzeugt mich dieser Einwand in keiner Weise.
Abtreibungen sind in Deutschland Straftaten, aber unter bestimmten Umständen möglich. Soll das so bleiben?
Es ist eine schwierige Debatte, in der zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Frau und dem Schutz des ungeborenen Lebens abzuwägen ist. Wir wollen in einer Kommission die Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen. Dabei wollen wir unter der Überschrift „reproduktive Selbstbestimmung“ auch weitere Fragen diskutieren, etwa die, wie wir ungewollt kinderlose Paare besser unterstützen können. Den Ergebnissen dieser Kommission möchte ich nicht vorgreifen.
Sie wollen auch das Familienrecht der gesellschaftlichen Realität anpassen. Was genau haben Sie vor?
Wir haben eine ganze Reihe von Projekten vor wie etwa die Verantwortungsgemeinschaft oder die Neuregelung des „kleinen Sorgerechts“. Ich möchte in dieser Legislaturperiode auch das Namensrecht liberalisieren. Das heutige Namensrecht ist ein großes irrationales Durcheinander. Ehepartner können keinen gemeinsamen Doppelnamen annehmen, die gemeinsamen Kinder können das auch nicht. Das Namensrecht gestattet nur, dass ein Ehegatte nach der Eheschließung seinen Namen dem gemeinsamen Ehenamen beifügt. Noch komplizierter wird es nach Scheidungen. Erwachsene Kinder müssen heute manchmal gegen ihren eigenen und den Willen eines Elternteils den Familiennamen eines Stiefelternteils behalten, mit dem sie nichts mehr zu tun haben. Wir müssen uns beim Namensrecht einer sich verändernden Gesellschaft öffnen. Wir müssen den Menschen mehr Gestaltungsfreiheit beim Familiennamen überlassen, weil wir sonst zu absurden Ergebnissen kommen, die doch ernsthaft keiner mehr wollen kann.
Kann dann jemand künftig also beispielsweise Herr Müller-Meier-Schmidt-Hoffmann heißen?
Mit dieser Frage und anderen Fragen werden wir uns noch intensiv auseinandersetzen. Aber für mich steht fest: Wir müssen den Menschen mehr Entscheidungsfreiheit lassen. Der Name ist eine sehr persönliche Angelegenheit, und ich traue den Menschen zu, eine für sie passende Lösung selbst zu finden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es viele geben wird, die eine Aufeinanderfolge von 20 Familiennamen haben möchten. Es gibt aber Menschen, die mit einem Doppelnamen zum Ausdruck bringen wollen, dass sie zusammengehören und auf Augenhöhe miteinander leben. Und das halte ich für ein legitimes Anliegen in einer modernen Gesellschaft. Wir haben den Ehrgeiz, das Familienrecht in dieser Legislaturperiode in vielerlei Hinsicht anzupassen.
Sie wollen als Justizminister der FDP Freiheit und Grundrechte wieder in Balance bringen. Was meinen Sie damit?
Ich glaube, wir haben als Ampel-Regierung gezeigt, dass wir in der Corona-Pandemie ein neues Konzept haben. Wir haben das alte Rechtskonstrukt zur Corona-Bekämpfung, die epidemische Lage von nationaler Tragweite, faktisch durch gezieltere Maßnahmen, moderne Technologie und die Booster-Kampagne ersetzt. Wir haben mit weniger pauschalen Freiheitseingriffen die Delta-Welle gebrochen. Wir wollen auch Maßnahmen zurückzunehmen, wenn die medizinische Lage es verantwortungsvoll ermöglicht. Das halte ich für die freiheitsschonendere Methode.
Grundrechte wurden zeitweise in der Pandemie als Privilegien bezeichnet. Sind Sie das nicht inzwischen? Nämlich Privilegien von Geimpften?
Dem würde ich entschieden widersprechen. Jedem Menschen steht grundsätzlich Freiheit zu. Das ist niemals Privileg, sondern Grundrecht. Wir haben in einer pandemischen Situation aber gute Gründe, um Freiheitseinschränkungen vorzunehmen, weil das Grundgesetz und wir als Freie Demokraten sagen, dass Freiheit auch Verantwortung bedeutet. Aber wir müssen uns jeden Tag fragen, ob etwas, das gestern noch erforderlich war, es heute immer noch ist.
Wird die allgemeine Impfplicht kommen?
Ich schließe nichts aus und gehe davon aus, dass wir am Ende über verschiedene Anträge – vom Nein zur Impfpflicht über eine altersbezogene Impfpflicht bis zur Impfpflicht für alle Erwachsenen – verschiedene Vorschläge haben werden. Es ist gut, wenn im Parlament transparent und ausführlich die gleichen Debatten geführt werden wie auch in Familien und Freundeskreisen zu dem Thema. Das trägt zur Befriedung dieser schwierigen und aufwühlenden Thematik bei.