Marco Buschmann hatte es angekündigt: Etwaige künftige Grundrechtseinschränkungen im Kampf gegen Covid-19 sollen von der Evaluierung der bisherigen Maßnahmen abhängen. Diese Arbeit ist seit Freitag abgeschlossen, nun muss die Politik tätig werden. Der Bundesjustizminister gibt einen Ausblick.
Welt am Sonntag:
Herr Minister, der vom Bundestag eingesetzte Sachverständigenausschuss übt in seinem Bericht zur Corona-Politik scharfe Kritik. Wie bewerten Sie das Ergebnis der Evaluation?
Marco Buschmann:
Wir fühlen uns in vielerlei Hinsicht sehr bestätigt. Die Kommission hat etwa bemängelt, dass es durch das Konstrukt der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" im Ergebnis zu einer demokratisch und rechtsstaatlich ungesunden Machtballung in den Händen der Regierung gekommen war. Es war die erste Entscheidung der Fortschrittskoalition, mit diesem Konstrukt nicht mehr weiterzuarbeiten und die wesentlichen Dinge wieder im Parlament zu entscheiden. Wenn wir darüber sprechen, wie wir uns winterfest machen, müssen die Grundlagen dafür in einem transparenten Gesetzgebungsverfahren mit Anhörungen und auch Möglichkeit zu öffentlicher Kritik oder Zuspruch entschieden werden.
Ein großer Teil des Berichts beinhaltet Kritik an der Datenlage in Deutschland.
Wir sollten nach vorne schauen. Ich bin froh, dass wir am Freitag bereits einen Gesetzentwurf im Kabinett auf den Weg gebracht haben, dank dessen wir künftig mehr über die Corona-Situation insbesondere in den Krankenhäusern wissen werden. Aber die Kritik des Berichts werden sicher viele als eine Klatsche für die Vorgängerregierung lesen.
Eine Reform war dringend nötig.
Das ist richtig. Wir werden künftig mehr darüber wissen, wer wegen und wer mit Corona in den Krankenhäusern liegt und wie viele Betten dort frei sind. Ein weiterer Bestandteil können etwa Abwasser-Screenings sein, die Hinweise auf das Infektionsgeschehen geben können. Insgesamt kommen wir somit zu einer verbesserten Qualität von Daten. Das Bundesgesundheitsministerium kümmert sich um die Umsetzung.
Das hätte man früher machen müssen.
Es wäre gut gewesen, wenn man diesen Kraftakt schon früher hinbekommen hätte - ja. Aber ich freue mich, dass wir das jetzt endlich auf den Weg gebracht haben.
Wer trägt die Verantwortung für das bisherige Versagen?
Meine Aufgabe als Mitglied der Bundesregierung sehe ich darin, Probleme abzustellen, und dazu haben wir jetzt einen wichtigen Schritt gemacht. Ich möchte nicht mit dem Finger auf einzelne Personen zeigen. Es wird demnächst eine gesetzliche Grundlage geben für eine bessere Datenerhebung. Der Bundesgesundheitsminister hat damit das Recht und die Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Daten dann auch tatsächlich erfasst werden. Und das ist für mich entscheidend.
Ihr Parteikollege Wolfgang Kubicki hat den Rücktritt von Lothar Wieler, dem Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), gefordert. Braucht es den Wechsel an der Spitze?
Wolfgang Kubicki spricht als Parlamentarier und hat deshalb auch alle Freiheiten. Als Justizminister aber würde ich für meinen Geschäftsbereich auch keine ungefragten Personalempfehlungen entgegennehmen. Es gilt das Ressortprinzip. Daher mache ich auch keine Personalpolitik für fremde Ressortzuständigkeiten. Der Bundesgesundheitsminister muss selber entscheiden, mit welchem Personal er seine Pflichten erfüllt. Er trägt ja auch dafür die politische Verantwortung.
Wie bewerten Sie die Arbeit Wielers, dessen Haus bei der Erhebung von Daten in der Verantwortung steht?
Wie gesagt: Karl Lauterbach muss selber wissen, wie er die Aufgaben für ihn präzise in Zukunft am besten umsetzt. Dafür ist er dem Parlament verantwortlich.
Ihre Partei wehrt sich bislang vehement gegen Forderungen von SPD und Grünen, schnellstmöglich Grundrechtseinschränkungen ab Herbst zu ermöglichen. Warum?
Wenn es um Grundrechte geht, dann ist Sorgfalt geboten. Eingriffe müssen verhältnismäßig und gut begründet sein. Man darf hier nicht einfach Bauchentscheidungen treffen. Deshalb hatten wir ja auch im Gesetz die Evaluierung vorgesehen, damit ein Kosten-Nutzen-Profil für alle Maßnahmen erstellt wird. Unsere Pflicht, für verhältnismäßige gesetzliche Grundlagen zu sorgen und das zur Verfügung stehende Wissen zu nutzen, sowie der Respekt vor diesem Evaluationsgremium gebieten es, dass wir jetzt erst mal diesen Bericht auswerten. Dann schauen wir weiter. Ich bin aber sicher, dass wir in einem überschaubaren Zeitraum ein gutes und einvernehmliches Konzept für den Herbst als Bundesregierung vorstellen werden.
Der Bericht ist sehr vage gehalten. Was lesen Sie als Justizminister da heraus? Welche Maßnahmen wären überhaupt noch möglich?
Nach allem, was wir wissen, sind meiner Ansicht nach Lockdowns, Schulschließungen und Ausgangssperren heute nicht mehr verhältnismäßig. Das waren sicherlich auch die schwersten Grundrechtseingriffe, die unser Land und die Bürger ertragen mussten. Solche Maßnahmen kann man, wenn überhaupt, nur in der Frühphase einer Pandemie ergreifen. Das betonen die Experten im Bericht. Nun befinden wir uns aber im dritten Jahr. Und wenn wir heute wissen, dass diese Maßnahmen ein ganz schlechtes Kosten-Nutzen-Profil haben, dann sollten wir uns endgültig von ihnen verabschieden.
Die Gesundheitsministerkonferenz hat am Freitag unmittelbar nach der Veröffentlichung des Evaluationsberichts bereits Forderungen an den Bund gestellt. Man brauche dringend gesetzliche Grundlagen für neue Maßnahmen, etwa für die Maskenpflicht und auch für 2G- und 3G-Regeln.
Wir haben ja weiterhin einen Basisschutz wie das Tragen von Masken im öffentlichen Nahverkehr. Sollte es zu einer Zuspitzung der Lage in den Krankenhäusern kommen, kann auf die Hotspot-Regelung zurückgegriffen werden.
Bezüglich 2G und 3G trifft der Bericht keine klare Aussage. Kann es 2G, wie etwa die Grünen fordern, noch einmal geben?
Darüber werden wir jetzt reden müssen. Dafür müssen wir uns auch genau anschauen, welche Wirkungen die Impfstoffe haben und unter welchen Voraussetzungen das gelten könnte. Ich bin persönlich skeptisch, aber wir werden das jetzt sorgfältig besprechen.
Wir hören aus Bundestagskreisen, dass Sie sich mit Herrn Lauterbach auf eine Maskenpflicht in Innenräumen als Minimalkonsens für die Vorbereitung auf den Herbst geeinigt hätten.
Wir werden vermutlich noch im Laufe dieses Monats ein Konzept vorlegen. Da wird die Maske sicher eine Rolle spielen. Auch alle weiteren Fragen werden wir anschließend im besprochenen Zeitplan abarbeiten.
Sie wollen eine allgemeine Maskenpflicht für Deutschland nicht ausschließen?
Nein, das habe ich auch nie getan. Es wurde der Eindruck erweckt, ich hätte dieses Instrument immer und für alle Zeit ausgeschlossen. Das war aber überhaupt nicht der Fall. Mein Prinzip heißt: lageangepasstes Verhalten. Sinkt die Gefahr, dann muss man die Maßnahmen zurücknehmen. Steigt die Gefahr, dann muss man ihr angemessen begegnen. Der Evaluierungsbericht bestätigt der medizinischen Maske im Innenraum jedenfalls ein sehr gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis.