Herr Buschmann, in Ihrer Freizeit komponieren Sie Musik. Welcher Track fällt Ihnen ein, wenn Sie an den Zustand der Ampel-Koalition denken?
Ich möchte an Kontrapunkt und Fuge erinnern – musikalische Prinzipien, bei denen mehrere Stimmen sehr eigenständig geführt werden und die auch ein bisschen im Wettbewerb miteinander stehen. Aber am Ende fügt es sich doch zu einem Ganzen zusammen.
In der Öffentlichkeit sind eher die Misstöne zu vernehmen.
Die gehen den Bürgern auf den Keks - und mir manchmal auch. Aber: Diese Koalition bewegt viel, sie ist entscheidungsstark. Eine neue Studie hat dieser Tage erst gezeigt: Die Bundesregierung hat sich sehr viel vorgenommen - und viele ihrer Versprechen aus dem Koalitionsvertrag bereits eingehalten und umgesetzt.
Der Bundeskanzler will, dass die Koalition nach der Sommerpause mit „Schalldämpfer“ arbeitet, es also weniger Streit gibt. Fühlen Sie sich angesprochen?
Entscheidend ist, wie man streitet: das darf in der Sache hart sein, aber nicht persönlich werden. Wir müssen dankbar sein, dass wir streiten dürfen. Denn das ist das Wesen der parlamentarischen Demokratie – anders als in Ländern wie Russland oder China. Ich teile die Ansicht des Bundeskanzlers, dass wir in der Koalition stellenweise etwas laute Begleitgeräusche haben. Trotzdem sage ich: Manchmal muss man streiten – im Zweifel lieber im stillen Kämmerlein als öffentlich –, damit wir zu guten Gesetzen kommen.
Beim Heizungsgesetz hat sich die Koalition monatelang öffentlich zerlegt.
Natürlich hätte man viele Debatten auch eleganter hinter verschlossenen Türen führen können. Aber dass die Debatte geführt werden musste, war allen Beteiligten klar. Das Gesetz wurde regelrecht vom Kopf auf die Füße gestellt. Mittlerweile sagt selbst ein Verband wie ‚Haus und Grund‘: Aus dem ‚Heizungshammer‘ ist ein praxistaugliches Gesetz geworden, mit dem auch Eigentümer gut umgehen können. Der Streit war vielleicht laut, aber auch nötig – und hat ein gutes Ergebnis gebracht.
Für Murren sorgt auch Ihr Ministerium. Die Ampel hat sich in ihrem Koalitionsvertrag auf einige Punkte zum Mieterschutz – etwa die Verlängerung der Mietpreisbremse oder eine stärkere Begrenzung von Mieterhöhungen in angespannten Wohnungsmärkten – verständigt. Umgesetzt wurde bislang nichts. Warum blockieren Sie die Vorhaben?
Die Mietpreisbremse ist in Kraft und sie gilt bereits jetzt bis Ende 2025 – also über die Legislatur hinaus. Wir haben uns als Koalition entschieden, sie zu verlängern. Aber da sie eh noch länger läuft, kommt es nicht darauf an, ob das dieses Jahr oder 2024 passiert. Gerade auch durch den Ukraine-Krieg war unser Haus durch viele kurzfristige Aufgaben gefordert, die dringlicher waren.
Klingt so, als ließen Sie sich weiter Zeit.
Ich stehe zum Koalitionsvertrag. Ich wünsche mir, dass das alle anderen auch tun, dann muss niemand Sorge haben, dass Dinge liegen bleiben.
In den Großstädten explodieren die Mieten förmlich. Wäre es nicht geboten, zügig zu handeln?
Hohe Mieten sind Folge eines zu niedrigen Angebots an Wohnungen. Deshalb muss der Neubau von Wohnungen für uns absolute Priorität haben – das ist wichtiger als das Herumdoktern am Mietrecht. Im Koalitionsvertrag hatten wir das Ziel gesteckt, 400.000 neue Wohnungen im Jahr erreichen zu wollen.
Ein Ziel, das Sie bislang verfehlen…
Ja, dem hinken wir leider noch deutlich hinterher. Alle Beteiligten – von der Bundesregierung über die Länder bis zu den Kommunen – müssen sich fragen, wie wir schnell zu mehr Wohnraum kommen. Es kann auf jeden Fall nicht die Lösung sein, den Mangel nur zu verwalten.
Ist es denkbar, dass Sie die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag noch nicht umgesetzt haben, weil Vermieter im Zweifel die Klientel der FDP sind?
Ungefähr die Hälfte der Menschen in Deutschland wohnt zur Miete, die andere Hälfte im Eigentum. Es geht darum, wie wir dafür sorgen, dass in Deutschland schneller günstig Wohnraum geschaffen wird. Mehr Bürokratie und immer neue Vorgaben sind da kontraproduktiv. Denn sie senken die Anreize für Investitionen in Wohnraum.
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert eine Art Mietenstopp. Da, wo der Markt besonders angespannt ist, sollen die Mieten nur noch um sechs Prozent innerhalb von drei Jahren steigen dürfen. Das ist mit Ihnen nicht zu machen, oder?
Wir brauchen mehr Wohnraum. Ich halte nichts davon, nur Symptome zu bekämpfen. Und je unattraktiver wir Vermietung machen, desto weniger privates Kapital kann genutzt werden, um neue Wohnungen zu bauen. Der beste Mieterschutz ist ein größeres Angebot. Das bekommen wir aber nicht durch neue Preiseingriffe, sondern durch Entbürokratisierung, schnellere Genehmigungsverfahren, und mehr serielles Bauen.
Sie sind sich auch beim Thema Vorratsdatenspeicherung nicht mit der SPD einig. Dabei werden Telefon- und Internetanbieter verpflichtet, Verbindungsdaten auf Vorrat zu speichern: Wer hat wie lange mit wem telefoniert? Das Bundesverwaltungsgericht hat die anlasslose Speicherung für unzulässig erklärt – die SPD will sie trotzdem wieder einführen. Warum sind Sie dagegen?
Wir brauchen gute und vor allem rechtssichere Ermittlungsinstrumente. Bei der Vorratsdatenspeicherung ist es so: Jedes bislang vorgelegte Modell ist am Ende vor den Gerichten gescheitert. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir mit einem anderen Ansatz endlich für Rechtssicherheit sorgen. Meine Lösung ist das Quick-Freeze-Verfahren.
Damit könnten Ermittlerinnen und Ermittler Verbindungdaten bei einem Verdacht gegen eine Person einfrieren lassen – allerdings eben nur bei einem Verdacht und erst ab diesem Zeitpunkt
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat den Handlungsbedarf noch einmal deutlich gemacht. Die bisherigen Regelungen der Vorratsdatenspeicherung sind in vollem Umfang rechtswidrig und können nicht angewendet werden. Mit Quick Freeze liegt eine sehr pragmatische Lösung auf dem Tisch, mit der wir die Ermittlungsbefugnisse schnell verbessern können.
Wie soll es jetzt weitergehen?
Der Gesetzentwurf liegt seit mehr als einem Jahr vor. Mich ärgert, dass wir hier nicht vorankommen. Die Situation ist für alle Seiten unbefriedigend. Wir hätten die Chance, den Ermittlern Instrumente an die Hand zu geben und eine seit mehr als 20 Jahren währende Debatte zu beenden. Dass man Ermittlungsmaßnahmen erst bei einem entsprechenden Verdacht ergreifen darf, ist die Grundregel unserer Strafprozessordnung und ich halte sie für richtig.
SPD-Politiker sagen: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Vorratsdatenspeicherung nicht komplett verworfen. Wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit gehe, könne sie zulässig sein.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die deutsche Regelung insgesamt als unionsrechtswidrig verworfen, das möchte ich nochmal klarstellen. Die nationale Sicherheit ist natürlich ein wichtiger Punkt. Wenn die Sicherheitsbehörden Anhaltspunkte für einen potenziellen Anschlag haben, dann können sie schon heute auf weitreichende Befugnisse aus dem Gefahrenabwehrrecht zurückgreifen. Es wäre möglich, ihnen auch das Quick-Freeze-Verfahren zur Verfügung stellen. Mein Gesetzentwurf betrifft allerdings den Bereich der Strafverfolgung, für den ich als Bundesjustizminister zuständig bin.
Kritiker finden Quick-Freeze trotzdem unzureichend.
Wir dürfen die Bürger nicht unter Generalverdacht stellen. Wenn der Staat eine Ermittlungsmaßnahme gegen einen Menschen anwenden will, muss es einen entsprechenden Anlass geben, und im Strafverfahren ist das ein ausreichender Tatverdacht. Gibt es einen solchen Verdacht, könnten Daten mit dem Quick-Freeze-Verfahren eingefroren werden – auch für längere Zeit. Wir haben im Koalitionsvertrag klar verabredet, dass Daten nur noch anlassbezogen gespeichert werden können.
Ein für Sie wichtiges Projekt ist das Thema Bürokratieabbau. Das haben schon viele Regierungen angekündigt. So richtig erfolgreich war es nie. Was ist diesmal anders?
Unsere Unternehmen leiden unter einem Bürokratie-Burn-Out. Die Last ist einfach viel zu groß geworden. Auch deshalb ist der Bürokratieabbau ein Leitmotiv unserer Arbeit. Das bislang größte Bürokratieentlastungsgesetz stammt aus Zeiten der Großen Koalition und hat den Erfüllungsaufwand – also das, was an Kosten und Zeit für die Befolgung rechtlicher Vorschriften aufgewendet werden muss – um gut eine Milliarde Euro gesenkt. Jetzt haben wir das Wachstumschancengesetz und das Bürokratieentlastungsgesetz 4 auf den Weg gebracht – wenn wir beides umsetzen, sinkt der Erfüllungsaufwand nach derzeitigem Planungsstand um mindestens 2,3 Milliarden Euro. Und trotzdem: Es muss noch mehr kommen.
Was schwebt Ihnen vor?
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat mir zugesagt, das Vergaberecht zu entbürokratisieren. Das wäre ein großer Schritt. Und auch mit Frankreich laufen Gespräche, um das Thema Bürokratie auf europäischer Ebene anzugehen. Zwar gab es auf EU-Ebene immer wieder Ankündigungen, Bürokratie abzubauen. Nur: Bislang sind die Bürokratielasten durch EU-Recht weiter gestiegen. Unsere Zahlen belegen, dass etwa 57 Prozent des Erfüllungsaufwandes in Deutschland aus der Umsetzung von EU-Richtlinien stammen.
Bürokratieabbau ist also ohne Brüssel nicht möglich.
Daher wollen wir eine Initiative durch die Mitgliedsstaaten anstoßen. Ein Impulspapier der Bundesregierung hierzu haben wir auf unserer Klausur in Meseberg beschlossen. Generell bin ich hoffnungsvoll, denn ich sehe Bewegung auf allen Ebenen. Wir werden mehr hinbekommen als Vorgängerregierungen. Auch die aktuellen Äußerungen der Kommissionspräsidentin von der Leyen zum Abbau von Berichtspflichten sind für den Bürokratieabbau ermutigend. Wir brauchen mehr Ehrgeiz – auf allen Ebenen.
Uns erinnert Bürokratieabbau als Schlagwort an die große Steuerreform. Häufig angekündigt, nie umgesetzt.
Mit dem Wachstumschancengesetz gibt es schon einen konkreten Gesetzentwurf. Auch bei den Steuern senkt dieser die Belastung. Die parlamentarische Beratung soll demnächst starten. Und es ist mein Ziel, noch in diesem Jahr einen Entwurf für ein viertes Bürokratieentlastungsgesetz vorzulegen, der dann hoffentlich schnell im Bundestag beraten wird. Um substanziell etwas zu bewegen, ist es aber wichtig, dass auch die Bundesländer und die europäische Ebene mitziehen.
Die Ampel-Parteien haben sich die gesellschaftliche Modernisierung auf die Fahnen geschrieben. Ein Teil davon ist das Selbstbestimmungsgesetz: Wer sich zum Beispiel als Frau fühlt, aber als Mann im Personenregister steht, soll den Geschlechtseintrag künftig leichter ändern können. Warum?
Personen, die ihren Geschlechtseintrag ändern wollen, macht es das geltende deutsche Recht sehr schwer. Man muss sich zwei Begutachtungen unterziehen und ein kostenreiches Gerichtsverfahren durchlaufen. Viele Betroffene empfinden das als entwürdigend. Und das ist nachvollziehbar. Denn bei der Begutachtung werden zum Teil intimste Fragen gestellt. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht schon vor vielen Jahren festgestellt: Das Grundgesetz vermittelt auch einen Anspruch auf Achtung der geschlechtlichen Identität.
Kritiker sagen, dass man künftig nach Lust und Laune entscheiden kann, ob man Mann oder Frau ist.
Erklärungen über die Änderung des Geschlechtseintrags müssen drei Monate vorher angemeldet werden, man muss versichern, dass der gewählte Geschlechtseintrag der eigenen Identität am besten entspricht, eine erneute Änderung kann erst nach einem Jahr erklärt werden. Schon deshalb geht der Vorwurf fehl. Im Übrigen: Unser Gesetzentwurf nimmt die Interessen der gesamten Gesellschaft in den Blick. Wir haben viele Vorkehrungen dagegen getroffen, dass das Gesetz missbraucht oder die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt wird.
Sehen Sie genügend Offenheit in der Gesellschaft für diese Reform?
Ich bin zuversichtlich, dass viele das Selbstbestimmungsgesetz als Fortschritt wahrnehmen werden. Es macht einer kleinen Zahl von Menschen des Leben deutlich leichter – und es schadet allen anderen nicht. Im Übrigen: Eine Rechtspolitik, die den Werten des Grundgesetzes verpflichtet ist, darf sich nicht allein an momentanen Stimmungen orientieren.
Was heißt das für Sie?
Grundrechte stehen gerade nicht unter der Bedingung, dass das alle anderen gut finden müssen. Grundrechte müssen für die Mehrheit nicht immer bequem sein. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der Staat die geschlechtliche Identität der Menschen achten muss. Die Politik sollte sich dafür einsetzen, dass der Staat dieser Pflicht bestmöglich nachkommt.
Allerdings ist es für die Akzeptanz solcher Reformen gut, wenn eine breite Mehrheit dahintersteht.
Manche Menschen waren vielleicht ein bisschen irritiert, weil auch viel Seltsames und Falsches über das Selbstbestimmungsgesetz geschrieben wurde, etwa, dass Eltern die Sorge haben könnten, dass ihr 15-jähriger Sohn bald als 15-jährige Tochter nach Hause kommt…
… das wird nicht passieren?
Diese Sorgen können wir nehmen, weil die Eltern natürlich eine ganz starke Stellung im Verfahren bei Minderjährigen haben. Sie müssen zustimmen, wenn die Änderung stattfinden soll. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung wird sehen: Wir nehmen hier niemandem etwas weg und setzen niemanden einer Gefahr aus. Wir machen es für eine kleine Gruppe von Menschen möglich, ihre Identität zu leben. Zu diesem Mehr an Respekt und Freiheit sollten wir als Gesellschaft bereit sein.