WirtschaftsWoche: Herr Buschmann, Mitte November haben die Richter in Karlsruhe der Bundesregierung einen haushaltspolitischen Verfassungsbruch bescheinigt. Das muss Sie als Bundesjustizminister doch maßlos ärgern?
Dr. Marco Buschmann: Wir leben in einem Rechtstaat. Da gilt nicht meine Befindlichkeit, sondern Recht und Gesetz. Was das Bundesverfassungsgericht sagt, das gilt. Wir setzen das Urteil bereits konsequent um und stellen den Bundeshaushalt 2023 auf eine verfassungsrechtlich saubere Grundlage, die den neuen Anforderungen genügt.
Ihr Ministerium unterzieht jedes Gesetz einem juristischen Check. Hat bei Ihnen niemand vor dem Risiko gewarnt, als 60 Milliarden Euro aus den Coronahilfen für Klimaschutz umgebucht werden sollten?
Für das Finanzverfassungsrecht sind wir nicht federführend. Aber damit nicht der Eindruck entsteht, ich würde mich wegducken wollen: auch wir hatten uns mit dem Entwurf befasst. Und zum Zeitpunkt der Entscheidung erschien dieser Weg rechtlich vertretbar. Man darf nicht vergessen: Das Bundesverfassungsgericht hat neue Grundsätze aufgestellt. Nun haben wir Klarheit. Und ich bin gewillt, das als Chance und Fortschritt zu betrachten.
Fortschritt? Sie stecken doch mittendrin in einer heftigen Regierungskrise.
Mit Verlaub, das mag für Medien oder die Opposition eine attraktive Vokabel sein, aber ich kann keine Regierungskrise erkennen. Wir haben nicht einmal zwei Wochen nach dem Karlsruher Urteil die Probleme identifiziert und abgeschichtet. Innerhalb kurzer Zeit haben wir Klarheit für den Haushalt 2023 geschaffen.
Legen Sie die Hand dafür ins Feuer, dass das Ausrufen einer erneuten Notlage, also das Aussetzen der Schuldenbremse für das Jahr 2023, verfassungsfest ist?
Ich bin davon überzeugt, weil es sich aus der Logik des Karlsruher Urteils ergibt. Denn bei dem Beschluss handelt es sich ja nicht um die Ausrufung einer neuen Notlage, sondern um die Bestätigung der alten, die unstreitig bestanden hat. Genau eine solche Bestätigung ergibt sich aus der Logik des Urteils: Kreditermächtigung zur Krisenbewältigung verfallen am Ende des Jahres. Dauern die Folgen der Krise in einem folgenden Haushaltsjahr noch an, so ist das durch erneuten Beschluss in eben diesem folgenden Haushaltsjahr zu bestätigen. Wäre uns dieser Grundsatz Anfang 2023 bewusst gewesen, hätten wir gleich so gehandelt. Die Alternative wäre ein offen verfassungswidriger Haushalt - und das ist inakzeptabel.
Und wie geht es 2024 weiter?
Der Haushaltentwurf 2024 muss noch einmal substanziell überarbeitet werden. Alle Kräfte dieser Koalition arbeiten daran, den Bundeshaushalt verfassungskonform aufzustellen. Das wird nicht ohne Einsparung substantieller Milliardenbeträge gehen. Das gelingt nicht über Nacht. Sollte dies noch in diesem Jahr gelingen, wäre das eine gewaltige Leistung. Ich halte es aber für realistischer, dass es etwas länger dauern wird. Schließlich müssen auch die Minderheitenrechte der Opposition im Verfahren streng beachtet werden. Hier gilt: Gründlichkeit, Sorgfalt und vor allem Rechtsicherheit vor Schnelligkeit.
Besitzt die Ampel genügend Kraft zum Sparen, um eine weitere Notlage zu vermeiden?
Ihre Frage ist mir zu spielerisch. Denn sie unterstellt, dass wir Notlagen politisch anknipsen könnten wie das Deckenlicht, Schulden on demand gewissermaßen. Das ist jedoch rechtlich falsch. Eine Notlage im Sinne der Schuldenbremse ist ein Rechtsbegriff. Hier hat der Bundestag einen gewissen Entscheidungsspielraum. Die Voraussetzungen einer Notlage muss er aber sehr plausibel begründen. Ob diese Darlegungen tragen, kann das Bundesverfassungsgericht überprüfen. Es hat angekündigt, dies umso strenger zu tun, je länger das krisenbegründenden Ereignisse zurückliegen.
Und diese Grundlage sehen Sie nicht?
Das würde man sorgfältig prüfen müssen, falls jemand den Entwurf einer konkreten Begründung vorlegen würde. Ich persönlich bin sehr skeptisch, ob das rechtssicher gelingen kann. Mich wundert auch, wie leichtsinnig einige mit dieser Frage umgehen. Wir sollten besser darauf hinarbeiten, für den Haushalt 2024 ohne Notlagenbeschluss auszukommen. Und selbst wenn es Tatsachen geben würde, die eine Notlage begründen könnten, so erlaubt ja auch das nicht beliebige Schuldenaufnahme. Finanziert werden dürften allenfalls Maßnahmen, die in einem Veranlassungszusammenhang zur Notlage stehen. Auch dann wird man ums Sparen nicht herumkommen.
Uns fehlt die Fantasie, auf welche Sparmaßnahmen sich die Ampel einigen könnte.
Gehen wir alle Optionen zur Deckung des Haushalts doch einmal durch. Erstens: Mehr Kredit aufnehmen. Da wären die Maßgaben der Schuldenbremse zu beachten. Ich sehe hier nur wenig Spielraum. Zweitens: Steuern erhöhen. Das wäre ein Fehler. Denn das wäre das Gegenteil dessen, was unsere Unternehmen in diesen schwierigen konjunkturellen Zeiten benötigen. Ich bin zwar nur der Justizminister, aber das kleine wirtschaftspolitische Einmaleins ist mir nicht unbekannt. Bleibt also drittens: Ausgaben senken. Darauf müssen wir uns konzentrieren.
Lassen Sie uns trotzdem zunächst bei der Schuldenbremse bleiben. Muss diese nicht gelockert werden, wie es die meisten Sozialdemokraten und Grünen jetzt fordern?
Die Schuldenbremse ist eine verfassungsrechtliche Errungenschaft. Sie sorgt für solide Finanzen, haushaltspolitische Krisenresilienz und Generationengerechtigkeit. Ich halte nichts davon, auf den Urteilsspruch aus Karlsruhe mit einer Abschaffung oder Aufweichung zu antworten.
Auch Ökonomen wie Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft geben jedoch zu bedenken: Selbst mit einer flexibleren Schuldenbremse könnte Deutschlands Schuldenquote gemessen an der Wirtschaftskraft sinken.
Auch wenn das altmodisch klingen mag: Das Maastrichter Schuldenkriterium von 60 Prozent gilt. Deutschland hat sich dem in der Amtszeit von Christian Lindner schon wieder angenähert, aber es ist noch nicht erfüllt. Und bei allem Respekt für Ökonomen, die das nun fordern: Auf geltendes EU-Recht will ich als Justizminister schon hinweisen. Zudem kann ich im Bundestag keine demokratische Mehrheit für eine Änderung der Schuldenbremse erkennen.
Nun muss die Koalition bei den Ausgaben sparen. Gilt das auch beim Bürgergeld, oder ist das aus verfassungsrechtlichen Gründen – Stichwort: Existenzminimum – nicht möglich?
Lassen Sie mich so antworten: Jahrelang hieß es auch in der Migrationsdebatte, man könne bei Leistungen von Flüchtlingen und Asylbewerbern nichts tun, weil die Verfassung enge Grenzen setzte. Gemeinsam mit dem Finanzminister habe ich jedoch verfassungskonforme Spielräume aufgezeigt. Die MPK fand das überzeugend und die Koalition nutzt gerade diese Spielräume. Das zeigt: Wir sollten Optionen nicht vorschnell durch die Errichtung rhetorischer Tabuzäune vom Tisch nehmen.
Sie spielen auf Ihren grünen Koalitionspartner an, der sich gerade auf dem Parteitag mit einer Einschränkung der Asylaufnahme schwergetan hat.
Trotzdem handelt diese Koalition. Wir haben im Bundestag eine Anpassung der Asylbewerberleistungen eingebracht. Zum Beispiel bei Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen sie mit Essen und Trinken versorgt werden, soll der Regelsatz um diese beiden Leistungen gekürzt werden. Wir wollen auch die Bezugszeit der Asylbewerberleistungen verdoppeln, bevor es mit den Analogleistungen höhere Sozialleistungen auf dem Niveau der Grundsicherung gibt. Damit reduzieren wir einen Pull-Faktor spürbar.
Gleichwohl scheint Deutschland längst noch nicht so weit zu sein wie seine Nachbarländer. In Dänemark oder den Niederlanden beobachten wir, dass geflüchtete Ukrainer dort viel schneller und umfangreicher in den Arbeitsmarkt integriert werden.
Da schneiden wir in der Tat zu schlecht ab, das muss sich ändern. Deshalb hat sich der Bundesarbeitsminister vorgenommen, einen Job-Turbo zu zünden. Die Arbeitsagenturen sollen Geflüchtete aus der Ukraine gezielt ansprechen, damit sie mehr durch eigene Arbeit zu ihrem Lebensunterhalt beitragen. Ich halte das für richtig – und notwendig.
Andere Länder kommen auch nicht auf die Idee, dass staatliche Stellen von den Arbeitswilligen erst einmal einen Sprachtest abverlangen.
Bei Ukrainern, die in Deutschland aufgenommen wurden, sind deutsche Sprachkenntnisse für die Aufnahme einer Beschäftigung nicht zwingend erforderlich. Unabhängig davon ist völlig richtig: Wir sollten grundsätzlich bei all unseren Nachbarn schauen, was wir von ihnen lernen können. Benchmarking ist ja nicht nur in der Wirtschaft ein geeignetes Instrument. Und nein, deutsche Sprachkenntnisse sind für mich keine zwingende Voraussetzung. Es gibt eine ganze Reihe von Tätigkeiten, bei denen man nicht perfekt Deutsch sprechen muss. Motivation zählt. Man darf auch mal Englisch sprechen. Beim Arbeitsverbot für ankommende Flüchtlinge müssen wir grundlegend umdenken.
Bleiben wir beim Fachkräftemangel, der die Wirtschaft immer stärker ausbremst. Bundeskanzler Olaf Scholz sagt, Deutschland habe das modernste Einwanderungsrecht der Welt. Sehen Sie das auch so?
Die Rechtslage ist tatsächlich so. Aber wir dürfen den Vollzug nicht außer Acht lassen. Ich nenne ein Beispiel: Ein Bekannter hat sich in Neuseeland ein Arbeitsvisum besorgt und den gesamten Vorgang zügig über eine App abgewickelt. So weit sind wir leider noch nicht. Wir müssen bei unserer Verwaltung mit schnellen digitalen Dienstleistungen nachziehen, damit wir nicht nur per Gesetz, sondern auch de facto das attraktivste Einwanderungsland sind. Mit dem neuen Staatsangehörigkeitsrecht wollen wir außerdem einen klaren Anreiz schaffen, dass man durch eigene Leistung eine Einbürgerung schneller erreichen kann. Deshalb war für mich entscheidend, dass eine Einbürgerung nur dann möglich ist, wenn die Menschen von ihrer eigenen Arbeit leben können und nicht auf Transferleistungen angewiesen sind. Denn wir wollen Einwanderung in den Arbeitsmarkt und nicht in die sozialen Sicherungssysteme. Ich wundere mich schon sehr, dass es jetzt aus den Reihen der Koalitionspartner jetzt die Forderung gibt, das im parlamentarischen Verfahren wieder aufzuweichen, angeblich als Signal an dringend benötigte Fachkräfte. Das überzeugt mich nicht. Qualifizierte Arbeitskräfte haben ausgezeichnete Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Wer dagegen von vornherein damit rechnen muss, auf Transferleistungen angewiesen zu sein, dem wollen wir keine Anreize setzen, zu uns zu kommen. Im Gegenteil: Dann kann es keine Einbürgerung geben.
Wie der Fachkräftemangel gehört Bürokratie inzwischen zu den größten Standortnachteilen. Was können, wollen und müssen Sie hier tun?
Der Befund des Jahresberichts 2023 des Normenkontrollrats zeigt, dass die bürokratische Belastung im Zuge der multiplen Krisenbewältigung bis zum Sommer weiter gestiegen ist. Ich warne deshalb schon seit einiger Zeit vor einem Bürokratie-Burnout. Viele Unternehmen haben einfach nicht mehr die Kraft, sich wegen der Bürokratie auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren.
Gut gesagt, aber was tun Sie?
Mit dem Wachstumschancengesetz, das gerade im Bundesrat festsitzt, wollen wir kräftig gegensteuern. Ich werde zudem im Dezember das Bürokratieentlastungsgesetz IV vorstellen. Darin wollen wir beispielsweise Aufbewahrungsfristen verkürzen und Schriftformerfordernisse in vielen Bereichen abschaffen. Mit diesen Maßnahmen leiten wir eine Trendwende ein und drücken den Bürokratiekostenindex auf seinen niedrigsten Stand seit seiner Einführung 2012. Das wird eine spürbare Entlastung von Bürokratie.
Aber beschreiben Sie hier nicht nur die halbe Wahrheit? Der Bürokratielastenindex misst nur die Vorschriften, die sich die deutsche Politik ausgedacht hat, und nicht, was aus Brüssel kommt.
Da haben Sie völlig recht. Und das ist auch ein richtiges Problem. 57 Prozent der Bürokratielasten für unsere Wirtschaft kommen allein aus der EU. Es reicht also nicht aus, sich in eine nationale Schlankheitskur zu begeben, wenn auf der europäischen Ebene beständig weiterer Bürokratie-Speck angesetzt wird. Wir müssen leider feststellen: Diese Amtszeit der Europäischen Kommission ist eine Periode der Bürokratietreiberei, die ihresgleichen sucht.
Was können Sie gegen diese Flut an EU-Regulierungen unternehmen?
Wir haben uns mit Frankreich darauf verständigt, dass wir Bürokratie auf EU-Ebene systematisch abbauen wollen. Dazu gehört, dass wir uns zunächst einmal klar machen, wo wir stehen. Wir schlagen also zum Beispiel vor, alle Richtlinien und Verordnungen auf ihre bürokratischen Kosten zu vermessen. Als Vorbild könnte unser deutscher Bürokratiekostenindex dienen. Solch ein europäischer Bürokratiekosten-TÜV würde für Transparenz und damit Verbesserungen sorgen. Das wird auch helfen, um auf europäischer Ebene die One-in-One-out-Regelung effektiver anzuwenden.