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"Das Unterhaltsrecht entspricht seit vielen Jahren nicht mehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit."

Schwerpunktthema: Interview

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann spricht im Interview mit der Welt am Sonntag u. a. über die Modernisierung des Familien- und Strafrechts, die Einhaltung der Schuldenbremse und über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland.

Interviews und Gastbeiträge
Welt am Sonntag

Zu sehen ist Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann und ein Zitat.
Quelle: BMJ/Dominik Butzmann

Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.

Welt am Sonntag: Eine deutlichere liberale Handschrift soll es künftig geben. Das Versprechen ist nicht neu. Wie lässt es sich als kleinster Partner dieser Koalition erfüllen?

Dr. Marco Buschmann: Beharrlichkeit zahlt sich aus. Wir haben von Angela Merkel ein Land übernommen, das sich, wenn man hier Helmut Kohl heranzieht, regelrecht im Sozialismus befand. Von ihm stammt ja bekanntlich der Satz, dass der Sozialismus bei 50 Prozent beginne - und die Staatsquote lag 2021 bei über 51 Prozent. Wir haben sie deutlich gesenkt. Genau wie die Verschuldungsquote – von 69 auf rund 64 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Außerdem haben wir das Jahr 2024 mit einer Steuerentlastung für viele Millionen Menschen in Milliardenhöhe begonnen: Wir haben Grundfreibetrag und Kinderfreibetrag erhöht und den Einkommenssteuertarif an die Inflation angepasst. Also: weniger Verschuldung, weniger Staatsquote und in Summe weniger Steuern für die Bürger. Das ist die liberale Handschrift – und all das hätte es ohne die FDP in der Regierung nicht gegeben.

Die Bundesregierung lässt die CO2-Abgabe früher steigen als geplant. Damit belastet sie die Bürger und entlastet sie nicht.

Das ist nicht ganz richtig. Denn die Erhöhung des CO2-Preises in dieser Größenordnung bereits von der Vorgängerregierung beschlossen. Wir hatten gehofft, hier eine Entlastung zu ermöglichen. Das lässt sich nun leider nicht mehr darstellen. Noch wichtiger aber ist der Netto-Effekt, der für das Portemonnaie der Menschen entscheidend ist: Wenn wir Belastungen und Entlastungen zusammenrechnen, dann ergibt sich für viele Familien mit Kindern eine Nettoentlastung in Höhe von mehreren hundert Euro. Unterm Strich treten zum Jahreswechsel also für viele Menschen Entlastungen in Kraft.

Derzeit diskutiert ein Teil der Politik, die Schuldenbremse wegen der Hochwasserlage auszusetzen. Was halten Sie davon?

Viele Menschen in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt bangen gerade noch darum, ob die Deiche halten. Wir können noch gar nicht absehen, wie hoch der Schaden am Ende sein wird. Es scheint mir dem Ernst der Lage nicht angemessen, dass manche sie nutzen, um für ihre politischen Evergreens zu werben. Das hilft niemandem und ist auch verfassungsrechtlich nicht seriös. Erste Priorität muss sein, Schäden zu verhindern und den Betroffenen das Signal zu geben, dass man sie nicht alleine lässt. Dieses Signal hat der Bundeskanzler mit seinen Besuchen vor Ort gesendet.

Und wie steht es mit der Hilfe zur Folgebeseitigung der Ahrtal-Katastrophe?

Ob deswegen eine Aussetzung der Schuldenbremse gerechtfertigt wäre, wird derzeit in der Bundesregierung geprüft - so wie wir es vereinbart haben. In Anbetracht der finanziellen Größenordnung, um die es geht, darf ich aber sagen: Ich bin skeptisch, ob die Ahrtal-Hilfe eine Aussetzung der Schuldenbremse rechtfertigen würde. Die Vorgaben, die uns das Bundesverfassungsgericht gemacht hat, sind streng. Wir dürfen hier keine rechtlichen Risiken eingehen.

Wir haben über die liberale Handschrift in der Regierung gesprochen, aber noch nicht über die des Justizministers. Wo zeigen Sie in diesem Jahr Ihre Handschrift?

Wir werden 2024 bei der Digitalisierung der Justiz, der Modernisierung unseres Rechts und beim Bürokratieabbau weitere wichtige Fortschritte sehen. Das sind Herzensanliegen für mich als liberalem Justizminister. Wir werden etwa das Familienrecht modernisieren. Insbesondere das Unterhaltsrecht entspricht seit vielen Jahren nicht mehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Getrennte Eltern betreuten ihre Kinder heute oft gemeinschaftlich. Das spiegelt sich bei der Verteilung der Unterhaltslasten gegenwärtig nicht wider. Da gilt immer noch: „Einer betreut, einer zahlt.“ Das ist unfair und das wollen wir ändern. Modernisieren will ich außerdem das Strafrecht. Hier geht es um die letzten Reste nationalsozialistischen Gedankenguts, aber auch um das Totholz: also um Normen, die keinen Sinn mehr machen, etwa den Scheckkartenbetrug. Er steht noch immer Strafrecht, obwohl es gar keine Scheckkarten im Sinne dieses Gesetzes mehr gibt.

Die Diskussion um das Bürgergeld ebbt nicht ab. Sehen Sie noch Änderungsbedarf beim Bürgergeld?

Es muss für Erwerbslose starke Anreize geben, eine Arbeit aufzunehmen. Das ist ein Gebot der Gerechtigkeit und in Zeiten des Arbeitskräftemangels auch der wirtschaftlichen Vernunft. Deswegen haben wir beim Bürgergeld viel Wert auf die Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen gelegt. Deswegen wollen wir als Bundesregierung auch sogenannten Totalverweigerern die Bezüge aus dem Bürgergeld streichen. Im Übrigen müssen wir die praktischen Erfahrungen mit dem Bürgergeld auswerten. Wenn wir sehen, dass die Anreize nicht gut genug wirken, dann werden wir uns noch einmal darüber beugen müssen. Der Sozialstaat darf nicht nur alimentieren, er muss aktivieren.

Nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts und der mühsamen Einigung der Regierungsspitzen auf den Etat für 2024 geht es nun an die parlamentarische Umsetzung. Wo sehen Sie noch Anpassungsbedarf?

Nach dem weitreichenden Urteil des Verfassungsgerichts war es ein Kraftakt, in der Kürze der Zeit den Haushalt 2023 zu reparieren und den für 2024 neu aufzustellen. Das Bundesministerium der Justiz hat den mit Abstand kleinsten Etat aller Bundesministerien. Deshalb gibt es bei uns von vorneherein wenig Einsparpotential. Die Haushaltsgespräche führt ansonsten ja auch der Finanz- und nicht der Justizminister. Aber das Grundprinzip ist klar: Es wird nun mehr gespart, Subventionen werden gestrichen, neue Prioritäten gesetzt – wir haben das Urteil also als Chance begriffen.    

Wird die Schuldenbremse auf Dauer einzuhalten sein?

Das ist der Auftrag, den uns das Grundgesetz gibt. Hinter der Idee der Schuldenbremse steht: Die Politik muss lernen, mit dem Geld auszukommen, das ihr zur Verfügung steht. Sie kann nicht beliebig finanzielle Lasten in die Zukunft verschieben, um sie künftigen Generationen aufzubürden. Es geht also nicht um Knauserigkeit oder Geiz. Es geht um Generationengerechtigkeit. Zudem führt nur solide Haushaltsführung dazu, dass wir in außergewöhnlichen Zeiten der Herausforderungen wie in der Energie-, der Corona- oder die Eurokrise handlungsfähig bleiben. Nur mit einem kontrollierten Schuldenstand, kann sich der Staat in einer akuten Krisensituation am Kapital kurzfristig viel Geld zu vertretbaren Konditionen leihen. Deshalb ist die Schuldenbremse kein Ausdruck von Engstirnigkeit, sondern von nachhaltiger Risikovorsorge.

Wird diese Koalition bis zum Ende halten?

Ja.

Eine finanzielle wie militärische Unbekannte ergibt sich aus dem Ukraine-Krieg. Kann es einen Vorratsbeschluss des Parlaments geben, wie es der Kanzler will, falls die Ukraine mehr Unterstützung braucht?

Es gibt keine Aussetzung der Schuldenbremse auf Vorrat - und das hat der Bundeskanzler auch nicht gefordert. Der Bundeskanzler hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im Fall einer neuen Lage auch neu entscheiden müssen. Das ist eine reine Selbstverständlichkeit. Wir werden die Ukraine weiter unterstützen, weil sie das Opfer eines brutalen Angriffskriegs ist und ihr Erfolg bei der Landesverteidigung auch in unserem sicherheitspolitischen Interesse ist.

In der Ukraine wird derzeit diskutiert, wie die Armee mehr Soldaten gewinnen kann. Das Militär will 450.000 bis 500.000 Mann zusätzlich mobilisieren. Das Verteidigungsministerium hat an die vor dem Krieg geflüchteten Ukrainer im Ausland appelliert, zurückzukehren und ihre Heimat zu verteidigen. Wird die Bundesregierung das unterstützen?

Ich verstehe den Impuls der ukrainischen Regierung, die wehrpflichtigen ukrainischen Männer im Ausland zum Militärdienst zurückzurufen. Der Aufruf ist legitim. Wir werden aber niemanden in Deutschland zum Waffendienst im Ausland zwingen können.

Mittelbar mit dem Ukrainekrieg hängt die Debatte zusammen, ob die Wehrpflicht in Deutschland wieder eingeführt werden sollte. Was halten Sie von diesem Gedanken?

Ich bin sehr skeptisch gegenüber einer Reaktivierung der Wehrpflicht - aus verfassungsrechtlichen, aber auch aus anderen Gründen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht stellt sich ein Gleichheitsproblem. Niemand geht zurzeit davon aus, dass alle wehrdiensttauglichen Männer eines Jahrgangs rekrutiert würden. Im Verteidigungsministerium denkt man offenbar über eine modifizierte Wehrpflicht nach: Alle Männer werden gemustert und dann schaut man, wen man tatsächlich einberuft. Zur Wahrung der staatsbürgerlichen Gleichheit und Wehrgerechtigkeit ist jedoch entscheidend, dass Einberufungen nicht willkürlich vorgenommen werden. Verfassungsrechtlich ist das also alles nicht trivial. Ich bin auch noch aus einem anderen Grund gegen die Wehrpflicht: Würden wir sie erneut etablieren und der Wehrgerechtigkeit wegen Hunderttausende junger Männer einberufen, dann würden wir sie dem Arbeitsmarkt entziehen. Der Mangel an Arbeitskräften ist jetzt schon ein die Wirtschaft hemmender Faktor. Das würde uns also ökonomisch schwächen. Und letztlich habe ich als Liberaler auch ein massives Störgefühl, wenn der Staat so massiv in das Leben junger Menschen eingreift. Auch deshalb lehne ich die Reaktivierung der Wehrpflicht in der aktuellen Sicherheitslage ab.

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