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Wir bringen das Familienrecht auf die Höhe der Zeit

Schwerpunktthema: Interview

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann spricht im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung u. a. über die geplante Familienrechtsreform.

Interviews und Gastbeiträge
Neue Osnabrücker Zeitung

zu sehen ist Bundesminister Marco Buschmann im Gespräch.
Quelle: BMJ/Dominik Butzmann

Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.

Neue Osnabrücker Zeitung: Sie haben im Juli mit Christian Lindner einen Brief an Boris Pistorius geschrieben, in dem Sie dessen Wehrdienst-Reform zurückweisen. Dieser Brief landete in den Medien, während Pistorius gerade in den USA war. Was soll so ein Manöver anderes sein als Selbstdarstellung?

Die FDP setzt sich in der Bundesregierung mit Kräften dafür ein, dass die Bundeswehr gestärkt wird. Christian Lindner selbst hat die Idee eines Sondervermögens für die Bundeswehr mitentwickelt und umgesetzt. Wir wollen die Reserve und die Attraktivität des Soldatenberufs stärken. Zugleich sind wir davon überzeugt: Beim heutigen Zuschnitt der Bundeswehr müssen wir mit Freiwilligkeit arbeiten. Eine Zwangsrekrutierung wäre falsch. Sie führt zu Fragen der Wehrgerechtigkeit. Zudem fehlen Ämter und Kasernen für eine Wehrpflichtarmee. Diese rote Linie haben wir frühzeitig markiert, um sicherzustellen, dass unsere Position auch gehört wird. Es soll ja schon vorgekommen sein in der Politik, dass einzelne vorpreschen und Fakten schaffen - und diskret vorgetragene Bedenken zur Seite drängen.

Boris Pistorius ist ein Vorprescher?

Boris Pistorius ist ein engagierter Kabinettskollege, mit dem ich ein gutes Arbeitsverhältnis unterhalte. Wenn Koalitionskollegen Vorschläge machen, die das Thema Grundrechte oder Rechtsstaat in besonderer Weise betreffen, dann ist auch meine Zuständigkeit als Justizminister berührt. Deshalb wird sich niemand wundern, dass ich mich zu diesen Themen dann auch zu Wort melde.

Ein anderes Thema, um das es gerade in der Ampel Ärger gibt, ist das Bürgergeld. Der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai findet, es sollte niedriger werden. Das zuständige Arbeitsministerium verweist darauf, dass sich die Höhe aus der Gesetzeslage ergibt. Was sagt der Jurist Marco Buschmann?

Das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt: Der Regelsatz muss hoch genug sein, damit ein menschenwürdiges Existenzminimum für jeden Menschen in Deutschland gewährleistet ist. Daran gibt es nichts zu rütteln. Allerdings stellt sich die Frage, nach welcher Methode der entsprechende Geldbetrag ermittelt wird. Wir haben mit breiter Mehrheit im Parlament einschließlich der Stimmen der Union beschlossen, dass in Zeiten einer rasch ansteigenden Inflation eine zügigere Anpassung möglich sein muss. Bei der Bekämpfung der Inflation waren wir zum Glück erfolgreicher, als die Experten erwartet haben. Experten haben vor diesem Hintergrund ausgerechnet, dass der neu geltende Satz zwischen 14 und 20 Euro zu hoch ist, wenn man ihn an der Inflationsentwicklung misst. Das empfinden viele als ungerecht in einer Zeit, in der das öffentliche Geld knapp ist und sich auch viele Menschen finanziell einschränken müssen, die regulär arbeiten gehen.

Das heißt, das Bundesarbeitsministerium irrt sich?

Die geltende Rechtslage verbietet Absenkungen. Hier hat das Ministerium recht. Verfassungsrechtlich zulässig wäre es aber, das entsprechende Gesetz zu ändern.

Und wäre es gut, das zu tun?

Ich glaube, dass unsere Gesellschaft viel Solidarität zeigt. Wir haben einen sehr gut ausgebauten Sozialstaat. Das ist eine unserer Stärken und darauf können wir stolz sein. Zugleich dürfen wir aber nicht die Solidarität mit denjenigen Menschen vergessen, die in unserem Land arbeiten, Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlen und so unseren Sozialstaat finanzieren. Die Solidarität auch mit diesen Menschen müssen wir stärken.

Zu den Projekten, die die Ampel bis zum Ende der Legislaturperiode noch schaffen will, gehört eine weitreichende Liberalisierung des Familienrechts. Sie haben angekündigt, noch im ersten Halbjahr 2024 Gesetzentwürfe für ein neues Kindschafts- und Abstammungsrecht vorzulegen. Wann kommen die?

Spätestens am Ende der Sommerpause will ich drei große familienrechtliche Gesetzentwürfe vorlegen: für die Reform des Kindschaftsrechts, des Unterhaltsrechts und des Abstammungsrechts. Im Familienrechtsind in den letzten Jahrzehnten viele notwendige Modernisierungen ausgeblieben. Das wollen wir nachholen. Nehmen Sie das Thema Unterhaltsrecht. Viele Partnerschaften gehen heutzutage auseinander. Oft haben beide Eltern das Bedürfnis, sich auch nach einer Trennung weiterhin um das Kind zu kümmern. Das derzeitige Unterhaltsrecht geht aber immer noch von dem Muster aus: Einer betreut, einer zahlt. Ein Vater, der dreißig oder vierzig Prozent der Betreuung übernimmt, muss mitunter genauso viel Unterhalt zahlen wie ein Vater, der gar keine Betreuungspflichten übernimmt. Das ist eine große Ungerechtigkeit. Die wollen wir beseitigen.

Sie wollen es möglich machen, dass, wer substanziell bei der Erziehung mitmacht, auch weniger Unterhalt zahlen muss. Dadurch steigern Sie aber das Risiko, dass getrennte Paare künftig erst recht um die Betreuung streiten. Dann geht es ja nicht mehr nur um die emotionale Frage, wer wie viel Zeit mit dem Kind verbringen darf, sondern auch noch ums Geld.

Das Gegenteil ist richtig: Unsere Reform kann dabei helfen, Streit in Trennungsfamilien zu vermeiden. Denn gerade die Ungerechtigkeit des geltenden Rechts verursacht viel Frust und Streit. Es ist doch niemandem begreiflich zu machen, wenn es für die Unterhaltspflicht eines Elternteils keinen Unterschied macht, ob er das Kind an drei Tagen pro Woche betreut oder nur an jedem zweiten Wochenende. Im schlimmsten Fall hält das Eltern sogar davon ab, sich bei der Betreuung ihrer Kinder stärker zu engagieren. Dabei ist es regelmäßig im Interesse des Kindes und im Interesse beider Eltern, wenn beide Eltern sich nach einer Trennung um ihre Kinder kümmern.

Beim sogenannten Wechselmodell, das Sie ansprechen, wird ein Kind im Falle einer Trennung seiner Eltern von beiden Eltern weiter betreut, im Wechsel also, statt zum Beispiel nur von der Mutter. Dass sich dazu aber alle Experten einig sind, kann man nicht sagen. Erst vergangenes Jahr hat das Familienministerium eine große Studie vorgelegt, die gerade keine eindeutige Empfehlung für das Wechselmodell enthielt.

Wir werden das Wechselmodell nicht gesetzlich als Grundmodell vorschreiben. Es bleibt dabei: Auch künftig wird das Kindeswohl der zentrale Maßstab sein für die Entscheidung darüber, bei welchem Elternteil das Kind wie viel Zeit verbringt. Trotzdem ist festzuhalten: Kinder profitieren regelmäßig sehr davon, wenn sich beide Eltern in der Betreuung engagieren. Deshalb ist es richtig, die partnerschaftliche Betreuung in Trennungsfamilien zu fördern.

Von einem liberalen Justizminister hätte man eher erwartet, er schafft vielleicht alternative gesetzliche Möglichkeiten, aber am Ende können die Menschen es machen, wie sie wollen.

Unsere Reformpläne tragen durchaus eine starke liberale Handschrift: Wir wollen es Eltern erleichtern, einvernehmlich Vereinbarungen zu Sorge und Umgang zu treffen. Aber ein völliges Laissez-faire kann es nicht geben. Die Werteentscheidung des Grundgesetzes ist ganz klar: Erst einmal gehen wir davon aus, dass die Eltern am besten wissen, was gut für ihr Kind ist. Wenn es aber zum Streit kommt, muss das Recht zu Hilfe eilen. Das Kindeswohl ist hier der Leitstern des Rechts.

Finden Sie, dass die klassische Familie aus Mann, Frau und Kindern in Deutschland noch eine besondere Privilegierung verdient?

Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Das Verständnis von Ehe und Familie - auch das des Grundgesetzes - ist heute allerdings weiter als noch als in den 1950er- oder 1960er-Jahren.  Diesem gesellschaftlichen und verfassungsrechtlichen Wandel muss die Politik Rechnung tragen. Zugleich sollten wir unterschiedliche Familienformen nicht gegeneinander ausspielen. Viele Menschen wünschen sich nach wie vor eine Familie aus Mann, Frau und Kindern mit Trauschein: eine Konstellation, mit der ich auch groß geworden bin. Daran ist nichts rückständig oder überholt. Das ist etwas Wunderbares und der Traum vieler Menschen. Das steht aber nicht im Widerspruch dazu, dass es auch passende Regeln für andere Formen des Zusammenlebens geben muss - zum Beispiel für Patchworkfamilien, Paare ohne Trauschein oder Trennungsfamilien. Sie gehören genauso zu unserer Gesellschaft und haben einen Anspruch darauf, dass das Recht auch ihre Lebenssituation sieht.

Die Ampel leidet unter dem Klischee, dass sie ständig nur Politik für progressive Eliten in Berlin macht. Wenn man sich die gesellschaftspolitischen Umwälzungen anschaut, die Sie mit den Grünen voranbringen, vom Selbstbestimmungsgesetz bis jetzt zum neuen Familienrecht, muss man sagen: Das Klischee stimmt schon, oder?

Einspruch! Trennungs- oder Patchworkfamilien gibt es heutzutage überall und in allen sozialen Schichten. Unsere Pläne für das Familienrecht sind für Menschen in Osnabrück oder Ostfriesland genauso relevant wie für Menschen in Berlin. Hier geht es um die Interessen von Millionen von Menschen. Im Übrigen kümmern wir uns auch intensiv um sehr viele andere drängende Fragen - zum Beispiel um den Abbau von Bürokratie, um solide Staatsfinanzen oder um Fortschritte bei der Digitalisierung. Und vergessen wir nicht: Diese Bundesregierung hat eine beispiellose Energiekrise bewältigt und erfolgreich die Inflation gestoppt. Das war und ist Politik für alle Menschen in Deutschland.

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