"Es wird höchste Zeit, das Unterhaltsrecht zu modernisieren"
Schwerpunktthema: Interview
Interview des Bundesjustizministers Dr. Marco Buschmann mit FUNKE-Medien zur Modernisierung des Unterhaltsrechts sowie zur Abschiebung von Clanmitgliedern
Meldung
Das Interview wurde vor der Veröffentlichung auf dieser Seite redaktionell gekürzt.
In Deutschland erleben jedes Jahr rund 120 000 Kinder und Jugendliche, dass ihre Eltern sich scheiden lassen. Sind diese jungen Menschen gut versorgt?
Wenn Eltern sich trennen, ist das eine Belastung für die Kinder. Auf längere Sicht aber muss eine Trennung kein Unglück sein. Es kommt darauf an, wie die Eltern mit der Situation und den Kindern umgehen. Dafür gibt es sehr gute und schlechte Beispiele. Der Staat kann helfen, indem er vernünftige Rahmenbedingungen schafft.
Sie planen neue Regeln für den Kindesunterhalt – warum?
Das deutsche Unterhaltsrecht ist in die Jahre gekommen. Es geht noch von einer sehr traditionellen Vorstellung aus: Einer betreut und einer zahlt. Nach diesem alten Rollenverständnis bedeutet das: Die Frau betreut, der Mann zahlt. Doch die gesellschaftliche Realität ist längst eine andere. Viele Eltern erziehen und betreuen ihre Kinder gemeinsam - auch nach einer Trennung. Das Unterhaltsrecht ignoriert diese Tatsache weitgehend. Ob ein Vater sich an einem oder an drei Tagen in der Woche um das Kind kümmert, hat in vielen Fällen kaum Auswirkungen auf den von ihm gezahlten Unterhalt. Das ist aus Sicht der Betroffenen ungerecht. Und das ist gerade auch mit Blick auf das Kindeswohl nachteilig. Für Kinder ist es in der Regel gut, zu beiden Eltern eine starke Beziehung zu haben. Deshalb darf das Recht diejenigen, die sich besonders anstrengen, um eine solche starke Beziehung zu pflegen, nicht benachteiligen. Es wird höchste Zeit, das Unterhaltsrecht entsprechend zu modernisieren.
Wer soll dann wie viel Unterhalt zahlen?
Die Reform wird insbesondere Trennungsfamilien betreffen, in denen das Kind im sogenannten asymmetrischen Wechselmodell betreut wird. Das heißt, es geht um Konstellationen, in denen zwar ein Elternteil die Hauptbetreuung leistet und der andere Elternteil sich aber auch signifikant einbringt. Wir reden hier von einem Mitbetreuungsanteil von beispielsweise 30 oder 40 Prozent. Unser Ziel ist: Wir wollen klare und faire Regeln dafür schaffen, wie diese Leistung des mitbetreuenden Elternteils beim Kindesunterhalt zu berücksichtigen ist. Es muss einen Unterschied machen, ob sich jemand kaum oder zu einem gehörigen Anteil an der Kinderbetreuung beteiligt. Diejenigen, die sich erheblich einbringen, werden Vorteile haben durch die Reform.
Können Sie das beziffern?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der mitbetreuende Vater verdient 4000 Euro im Monat, die hauptbetreuende Mutter 2000 Euro. Der Vater übernimmt beispielsweise 40 Prozent der Erziehungsleistung. Das Kindergeld wird zwischen den Eltern verrechnet. Bisher zahlt der Vater monatlich mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als 500 Euro Unterhalt. Wie viel er genau zahlt, hängt sehr davon ab, welchen Berechnungsansatz das Gericht anwendet. Wenn unsere Pläne umgesetzt werden, wird der Vater etwas mehr als 400 Euro zahlen. Der Unterschied kann in einem solchen Fall somit mehr als 100 Euro betragen.
… die dann der Mutter fehlen. Geht Ihre Reform nicht zulasten hauptsächlich erziehender Frauen, die ohnehin finanziell zu kämpfen haben?
Wenn wir Väter dazu motivieren, sich stärker in der Betreuung der Kinder zu engagieren, hilft das auch den Müttern. Sie können dann etwa stärker berufstätig sein. Für viele Frauen ist ja bislang die Kinderbetreuung der Grund für eine reduzierte Arbeitszeit. Zweitens: Wir werden sicherstellen, dass beim hauptbetreuenden Elternteil keine Situation eintritt, die das Kindeswohl gefährdet. Denn natürlich bleibt es dabei: Bei der Verteilung der Unterhaltslasten kommt es sehr darauf an, wie viel die beiden Elternteile verdienen. Und es wird sichergestellt sein, dass kein Elternteil finanziell überfordert wird. Drittens: Trennungsfamilien sind vielfältig; derzeit übernehmen zwar häufig die Frauen die Rolle der Hauptbetreuung; aber das können aktuell oder künftig genauso gut Männer sein. Unser Gesetz ist ein Gesetz für Kinder und ihre Eltern.
Garantieren Sie, dass die Armutsgefährdung nicht wächst?
Wir werden die Unterhaltslasten fairer verteilen. Aber das wird nicht zu Lasten der Kinder gehen. Kinder behalten den gleichen Unterhaltsanspruch wie bisher. Und wir sorgen dafür, dass die Verteilung der Unterhaltslasten keinen Elternteil finanziell überfordert.
Was sollen getrennte Eltern tun, wenn das Gesetz in Kraft tritt?
Soweit sind wir ja noch nicht. Jetzt kommt zunächst unser Eckpunktepapier. Das ist ein Vorschlag, den wir zur Diskussion stellen. Wir werden sorgfältig auswerten, was Wissenschaft, Rechtspraxis, Verbände und insbesondere die betroffenen Eltern dazu zu sagen haben. Anschließend wollen wir den Gesetzentwurf erarbeiten. Wenn Eltern nach dem Inkrafttreten der neuen Regelungen auf dieser Grundlage dann ihre Unterhaltszahlungen anpassen wollen, wird es empfehlenswert sein, sich bei einer Beratungsstelle oder in einer Anwaltskanzlei zu informieren.
Wie sieht der Zeitplan aus?
Die Eckpunkte für das neue Unterhaltsrecht werden wir in wenigen Tagen veröffentlichen. Der Gesetzentwurf soll dann nach Möglichkeit zügig folgen. Aber wir werden nichts überstürzen: Das Unterhaltsrecht ist für viele Menschen sehr wichtig. Die Eltern von jedem vierten Kind in Deutschland leben getrennt. Bei so einem wichtigen Vorhaben geht ganz besonders Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
An dieser Reform sind schon mehrere Bundesregierungen gescheitert. Warum soll sie ausgerechnet der Ampel gelingen?
Diese Regierung hat sich dem Motto verschrieben: Mehr Fortschritt wagen! Ja, wir haben Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung. Aber ich denke, dass wir uns einig sind, dass das Familienrecht Schritt halten muss mit der gesellschaftlichen Entwicklung. Wir wollen gestalten und unser Recht auf die Höhe der Zeit und ihrer Lebenswirklichkeit bringen. Deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass uns dieses Vorhaben gelingen wird. Es wäre doch ein schönes Signal, wenn es uns als Bundesregierung gelingt, diese harte Nuss zu knacken, an der vorherige Regierungen gescheitert sind.
(...)
Innenministerin Faeser will Clanmitglieder abschieben, auch wenn sie nicht für Straftaten verurteilt worden sind. Unterwandert das nicht einen elementaren Teil unseres Rechtssystems – die Unschuldsvermutung?
Die ganze Debatte ist ein bisschen ein Sturm im Wasserglas. Es darf nicht so sein, dass ein unbescholtener Mensch sanktioniert wird, nur weil ein Verwandter möglicherweise eine Straftat gegangen hat. Wir haben in Deutschland keine Sippenhaft, und wir wollen sie auch nicht haben. Das ist durch diesen Vorstoß aus dem Innenministerium aber auch nicht gemeint gewesen.
Sondern?
Es ist die Rede davon, dass Personen ausgewiesen werden können, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass diese Mitglieder einer kriminellen Vereinigung sind. Das ist vergleichbar mit einer bereits vorhandenen Regelung zur Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das klingt dann schon gleich etwas anders. Trotzdem werden wir uns das in Ruhe anschauen. Das Bundesinnenministerium hat zunächst die Länder und Verbände um eine Stellungnahme gebeten, ob das ein sinnvoller Vorschlag ist.
Clanmitglieder sind schließlich auch nicht automatisch Terroristen.
Das Bundesinnenministerium hat den Vorschlag den Ländern zur Stellungnahme zugeleitet. Die Frage ist, ob es für einen so empfindlichen Eingriff in Grundrechte eine ausreichende Rechtfertigung gibt. Das wäre nur dann der Fall, wenn das ein echter Beitrag wäre, das Aufenthaltsrecht besser durchzusetzen. Daran gibt es Skepsis. Lassen Sie mich festhalten: Niemand in der Bundesregierung will Sippenhaft, und wenn sie jemand wollen würde, dann würde das Bundesministerium der Justiz ein klares Stoppschild aufstellen.
Faeser will auch, dass tatverdächtige Clanmitglieder selbst beweisen müssen, dass ihr Vermögen legal erworben ist. Lässt der Justizminister eine Umkehr der Beweislast zu?
Es darf im Strafrecht keine Beweislastumkehr geben. Das ist ein Rechtssatz von Verfassungsrang, der fundamental im Rechtsstaat ist. Wenn der Staat einem Bürger den Vorwurf macht, dass er ein Krimineller sei und ihn deshalb bestrafen möchte, dann trägt die Beweislast alleine der Staat. Die Einziehung von Taterträgen ist ein Sonderfall. Hier gibt es zum Beispiel das Rechtsinstitut der Einziehung ohne strafrechtliche Verurteilung ...
… das was erlaubt?
Wird gegen Clan-Mitglieder wegen bestimmter Delikte aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität ermittelt, dann können im Ermittlungsverfahren beschlagnahmte Vermögensgegenstände wie zum Beispiel Luxusautos unter erleichterten Voraussetzungen eingezogen werden. Das Gericht muss überzeugt sein, dass der Vermögensgegenstand aus irgendeiner anderen Straftat herrührt. Es muss wegen dieser Straftat aber nicht zu einer Verurteilung gekommen sein und es muss auch nicht bekannt sein, durch was für eine Straftat das Vermögen erlangt wurde. Viele Juristen sind der Meinung, dass wir damit die Grenzen des Zulässigen ausgeschöpft haben. Dazu neige ich persönlich auch.
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