Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann erklärt dazu:
„Unsere Justiz muss moderner, digitaler und bürgerfreundlicher werden. Der heute vorgelegte Entwurf ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem zukunftsfähigen Rechtsstaat. Ein einfacher und moderner Zugang zur Justiz für alle Bürgerinnen und Bürger ist dafür unverzichtbar. Videokonferenzen sollen deshalb ein selbstverständlicher Teil des Gerichtsalltags werden. Ihren Einsatz heben wir mit unserem Entwurf auf eine neue Stufe. Wer nicht mehr von Hamburg nach München zu einer Gerichtsverhandlung fahren muss, spart Zeit und Ressourcen. Termine lassen sich leichter vereinbaren, denn die Beteiligten können eine Verhandlung oder Beweisaufnahme per Video viel einfacher in ihren Alltag einfügen. So bekommen die Parteien auch schneller gerichtliche Entscheidungen. Mit dem Entwurf wollen wir außerdem die Möglichkeit schaffen, "virtuelle Rechtsantragstellen" einzurichten. Dadurch kann per Videokonferenz mit rechtssuchenden Bürgerinnen und Bürgern kommuniziert werden. Gerade wenn das nächst gelegene Amtsgericht nicht leicht erreichbar ist, wird so ein einfacher, digitaler Zugang zur Justiz eröffnet.“
Die Zivilgerichte haben bereits während der Corona-Pandemie mit der verstärkten Durchführung von Videoverhandlungen Erfahrungen gesammelt. Dadurch konnten wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden, wie der Einsatz von Videotechnik in der Ziviljustiz weiter ausgebaut werden kann.
Mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf werden Änderungsvorschläge aus der Justizpraxis aufgegriffen, zusammengeführt und weiterentwickelt. Ziel des Entwurfs ist es, die bestehenden Regelungen flexibler und praxistauglicher zu gestalten. Dadurch soll der Einsatz von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit sowie den Fachgerichtsbarkeiten weiter gefördert werden. Videoverhandlungen und Videobeweisaufnahmen ermöglichen eine schnellere und kostengünstige Verfahrensführung. Damit wird ein wichtiger Beitrag zu der angestrebten Modernisierung und Digitalisierung der Justiz geleistet und entsprechende Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt.
Der Entwurf sieht folgende Neuerungen vor:
- Ausbau von Videoverhandlungen: Die zentrale Norm für Videoverhandlungen – § 128a der Zivilprozessordnung (ZPO) – wird insgesamt neu gefasst:
Das Gericht soll eine Videoverhandlung nicht mehr nur gestatten, sondern gegenüber den Verfahrensbeteiligten anordnen können. Die Anordnung erfolgt durch die oder den Vorsitzenden. Die Verfahrensbeteiligten können innerhalb einer zu bestimmenden Frist beantragen, von dieser Anordnung ausgenommen zu werden.
Auch bei übereinstimmenden Anträgen der Parteien auf Durchführung einer Videoverhandlung soll diese in der Regel angeordnet werden. Lehnt das Gericht einen Antrag auf Videoverhandlung ab, ist diese Entscheidung zu begründen und mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.
Vollvirtuelle Verhandlungen, bei der sich auch das Gericht nicht im Sitzungssaal aufhält, sollen ebenfalls ermöglicht werden.
- Videoeinsatz bei der Beweisaufnahme: Die Regelungen zur Videobeweisaufnahme (§ 284 ZPO-E) sollen erweitert werden. Künftig soll auch eine Inaugenscheinnahme per Video möglich sein. Zudem soll auch die Videobeweisaufnahme durch das Gericht angeordnet werden können.
- Videoverhandlungen werden kostengünstiger: Die bisher für die Nutzung von Videokonferenztechnik nach den Gerichtskostengesetzen zu erhebende Auslagenpauschale soll entfallen.
- Moderne Dokumentationsmöglichkeiten: Die Regelungen zur vorläufigen Protokollaufzeichnung (§ 160a ZPO-E) sollen dahingehend erweitert werden, dass neben der bereits zulässigen Tonaufzeichnung eine Bild-Ton-Aufzeichnung der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme zulässig ist. In bestimmten Verfahren sollen die Parteien eine Audio- oder audiovisuelle Dokumentation der Aussagen von Beweispersonen beantragen können.
- Zeitgemäßer Zugang zur Justiz: Anträge und Erklärungen zum Protokoll der Geschäftsstelle sollen zukünftig per Video gegenüber der Geschäftsstelle abgegeben werden können (§ 129a ZPO-E). Dies betrifft beispielsweise die Beantragung von Prozesskosten- oder Beratungshilfe sowie die Erhebung einer Klage beim Amtsgericht.
- Das Verfahren zur Abnahme der Vermögensauskunft soll um die Möglichkeit erweitert werden, diese per Video oder an einem anderen geeigneten Ort als in den Geschäftsräumen des Gerichtsvollziehers oder in der Wohnung des Schuldners abzunehmen (§ 802f ZPO-E).
Diese Neuregelungen kommen grundsätzlich auch in den Arbeitsgerichten, Verwaltungsgerichten und Finanzgerichten zur Anwendung (Anwendung über die allgemeinen Verweisungsnormen in § 46 Absatz 1 Satz 1 ArbGG, § 173 Satz 1 VwGO, § 155 Satz 1 FGO). Um den Besonderheiten der Sozialgerichtsbarkeit Rechnung zu tragen, soll die eigenständige Regelung zu Videoverhandlungen in § 110a SGG beibehalten und nur zum Teil an die Neufassung des § 128a ZPO angepasst werden.
Der Entwurf wurde heute an die Länder und Verbände versendet und auf der Internetseite des BMJ veröffentlicht. Die interessierten Kreise haben nun Gelegenheit, bis zum 13.01.2023 Stellung zu nehmen. Die Stellungnahmen werden auf der Internetseite des BMJ veröffentlicht.
Den Referentenentwurf finden Sie hier.