ES GILT DAS GESPROCHENE WORT
Sehr geehrte Frau Stockinger,
sehr geehrter Herr Lüblinghoff,
sehr geehrte Frau Keller,
sehr geehrter Herr Rebehn,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr, bei Ihnen zu sein – bei den durch ihre richterliche Aufgabe berufenen Hütern unseres Rechtsstaats. Nachdem wir uns, Ihre Vorsitzenden und Geschäftsführer und ich, ja im Januar schon getroffen und gesprochen haben.
Was wir an Ihnen haben – das konnten wir in diesen Jahren der Pandemie wieder sehr gründlich lernen. Die einen hatten es nötiger als die anderen … Es waren ja Lehrjahre im Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Lektionen in Verhältnismäßigkeit, Erforderlichkeit, Geeignetheit von Grundrechtseingriffen.
Wir haben mit Ihnen eine hoch qualifizierte und unabhängige Richterschaft, die sich nicht scheut, den Finger in die Wunde zu legen, wo es für die Sache des Rechts nötig ist. Wenn man Sie dafür im Diminutiv als „Richterlein“ attackiert, habe ich mir erlaubt, Sie dagegen zu verteidigen.
Auch Ihre Integrität und Verfassungstreue steht außer jedem Zweifel. Sie ist – ganz im Gegenteil – vorbildlich. Umso empfindlicher haben Sie, haben wir alle jüngst reagiert, als es in einem Einzelfall mehr als handfeste Zweifel in der Sache gab. Ich habe mich über die klaren Worte Ihres Verbandes gefreut. Es hat sich in dem Fall aber auch gezeigt, dass es Möglichkeiten gibt zu reagieren.
Das Dienstgericht für Richter beim Landgericht Leipzig hat Jens Maier die Führung der Amtsgeschäfte untersagt. Anhängig ist das Verfahren, mit dem er im Interesse der Rechtspflege in den Ruhestand versetzt werden soll. Außerdem läuft vor dem Landgericht Dresden noch ein Disziplinarverfahren.
An der Verfassungstreue von Richtern darf es keinen Zweifel geben. Extremisten dürfen in Deutschland kein Recht sprechen. Das gilt auch für ehrenamtliche Richterinnen und Richter – wir haben gerade einen Regelungsvorschlag erarbeitet und zur Diskussion gestellt, der diesen vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung aufgestellten Grundsatz im Deutschen Richtergesetz ausdrücklich bekräftigt.
Sie hatten mir signalisiert, dass Sie bei Ihrer Zusammenkunft hier über Ihre starke Arbeitsbelastung sprechen wollen. Auch deshalb habe ich mir erlaubt, meine Ausführungen ein wenig unter diesem Gesichtspunkt zu sortieren.
Zunächst sind ja, um damit zu beginnen, auf der Grundlage des Pakts für den Rechtsstaat mittlerweile gut 2700 neue Stellen für Richter und Staatsanwälte geschaffen worden. Das ist ja nun schon mal was – und auf jeden Fall ein wichtiges Signal. Wir werden den Pakt verstetigen und ihn um einen Digitalpakt für die Justiz ergänzen.
Zur Entlastung der Strafjustiz ist ja zuletzt auch durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens von Ende 2019 – gerade auch auf Anregungen aus der Richterschaft hin – einiges passiert: Einige Stichworte sind Befangenheitsanträge, Besetzungsrügen, Beweisantragsrecht und Bündelung der Nebenklage – ich muss das nicht ausführen.
Wir haben uns auch für diese Legislaturperiode vorgenommen, Strafprozesse effektiver, schneller, moderner und praxistauglicher zu machen. Das geht, ohne die Rechte von Angeklagten und Verteidigern weiter einzuschränken. Wir erarbeiten etwa gerade Eckpunkte einer möglichen Reform der Regelungen über die Verständigung. Im Rahmen der Beweisaufnahme im Strafprozess könnte man in der Hauptverhandlung die Vorführung von Bild-Ton-Aufzeichnungen von Zeugenvernehmungen aus dem Ermittlungsverfahren erweitern und vereinfachen – oder die Einführung auch von Bildern oder sogar Bild-Ton-Aufzeichnungen in einem an das Selbstleseverfahren angelehnten „Selbst-Augenscheinsverfahren“ ermöglichen.
Einen Entlastungaspekt hat auch unser Vorhaben, das Strafrecht insgesamt zu prüfen und zu modernisieren. Strafrecht ist ultima ratio, letztes Mittel und schärfstes Schwert des Staates. Überholte Strafvorschriften müssen gestrichen werden. Mit dem Paragraphen 219a StGB haben wir begonnen.
Entlastend wirkt genauso das Vorhaben, das wir zurzeit in meinem Haus intensiv vorantreiben – es ist durch den Krieg und durch die Notwendigkeit der Reduzierung von Energie-Abhängigkeiten noch einmal dringlicher geworden: Nämlich die Beschleunigung von Verwaltungsgerichtsverfahren, die Infrastrukturprojekte betreffen – Beschleunigung etwa durch einen „frühen ersten Termin“ und durch ein effizienteres einstweiliges Rechtsschutzverfahren. Die Einführung eines frühen ersten Termins soll ermöglichen, dass die Gerichte die Verfahren frühzeitig noch stärker auch inhaltlich steuern. Bei den ins Auge gefassten Regelungen zum einstweiligen Rechtsschutz geht es darum, den vorläufigen Vollzug jeweils möglichst weitgehend zuzulassen. Weitere Änderungen im Verwaltungsprozessrecht prüfen wir.
Was das Problem der Massenverfahren betrifft, die Sie so beschäftigen – gerade durch die Dieselklagen –, und wo Sie nicht nur wegen der hohen Fallzahlen sehr belastet sind, sondern auch durch die Begleitumstände solcher Verfahren, wie ausufernde und aus Textbausteinen bestehende Schriftsätze – was diese Massenverfahren betrifft, sind wir auf der Suche nach den besten Lösungen. Wir nehmen die Frage sehr ernst.
Sie haben als Richterbund die Erweiterung der Möglichkeiten zur Aussetzung von ähnlich gelagerten Verfahren gefordert und die Einführung eines Vorabentscheidungsverfahrens zum Bundesgerichtshof für eine zügige höchstrichterliche „Vorabentscheidung“ über grundsätzliche Rechtsfragen mit Bedeutung für eine Vielzahl von Einzelfällen. Diese Vorschläge prüfen wir seit Sommer in einer dafür eingerichteten Bund-Länder-Arbeitsgruppe.
Unabhängig davon wollen wir die Möglichkeiten der Aussetzung von Individualklageverfahren auch in anderen Fällen erweitern. Im Referentenentwurf zur Umsetzung der EU-Verbandsklagen-Richtlinie werden wir entsprechende Regelungen vorsehen.
Und natürlich entlastet alles, was auf unserer Digitalisierungs-Agenda steht. Und zwar auch bevor zum 1. Januar 2026 die elektronische Akte flächendeckend eingeführt ist. Wir sind mitten in der Arbeit an vielen Vorhaben zur Digitalisierung der Justiz. Auch im Bundeshaushalt sind die entsprechenden Mittel schon vorgesehen.
Wir entwickeln gemeinsam mit den Ländern und den Bundesgerichten ein bundeseinheitliches System für Videoverhandlungen an den deutschen Gerichten. Für Förderung und Ausbau solcher Verhandlungen in der Ziviljustiz arbeiten wir an einem Gesetzentwurf. Eine Verwaltungsvereinbarung wird erlauben, diesen Dienst künftig als Bund-Länder-Kooperation zu betreiben und weiterzuentwickeln. Wir planen, mit einer ersten Version noch in diesem Jahr an den Start zu gehen. Videoverhandlungen werden künftig noch mehr zum gerichtlichen Alltag gehören.
Die Pandemie hat, wie Sie als Richterbund gerade mitgeteilt haben, die Digitalisierung in der Justiz hier schon beschleunigt. Im vergangenen Jahr wurden über 50 000 Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz durchgeführt – überwiegend Zivilverfahren. Auch die technische Ausstattung der Gerichte hat sich deutlich verbessert. Aber es gibt große Länder-Unterschiede.
Zweitens arbeiten wir – und hier sind wir wieder direkt beim Thema Entlastung – an den rechtlichen Rahmenbedingungen zur Einführung eines zivilgerichtlichen Online-Verfahrens, vor allem für regelmäßig auftretende, gleichgelagerte Ansprüche, die zu einer Vielzahl von Klagen bei den Gerichten führen. Kleinere Forderungen sollen auf diesem Weg mit geringem Aufwand durchgesetzt werden können.
Entlastung wird es auch geben durch digitale Technik im Verfahren selbst – durch digitale Lösungen etwa für eine strukturierte Erfassung des Prozessstoffs, digitale Lösungen, deren Entwicklung und Erprobung wir anstoßen. Auch die Rechtsantragstellen sollen digital eingebunden werden. Das wird etwa ermöglichen, auf händische Übertragung von Daten und auf zeitraubende Termine zu verzichten, in denen nur die Vollständigkeit von Informationen und Dokumenten überprüft wird.
Letztes Beispiel hier die Einführung einer digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung. Wir werden bis zur Mitte dieses Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen. Wir haben dafür in der Zusammenarbeit mit den Ländern und unter Beteiligung von Expertinnen und Experten aus der Richterschaft die Voraussetzungen geschaffen. Vor einer flächendeckenden Einführung wird es Pilotprojekte geben, damit Erfahrungen gesammelt werden können. Der Bund wird sich auch hier an den Kosten für die Einführung beteiligen.
All das ist kein Selbstzweck. Wir brauchen den digitalen Rechtsstaat. Der Respekt vor dem Rechtsstaat leidet, wenn die Rechtsverfahren wirken wie aus der Zeit gefallen. Digitalisierung erleichtert den Zugang zum Recht. Sie kann das Recht transparenter und effizienter machen und so wiederum Vertrauen und Respekt vor dem Rechtsstaat stärken.
Eine neue Belastung will ich Ihnen gern ersparen: Die Wiederaufnahme zuungunsten des rechtskräftig Freigesprochenen. Meine Auffassung als Abgeordneter und als Rechtspolitiker ist, dass dieses Gesetz ein erhebliches Problem darstellt und man sich die Frage stellen muss, ob hier nicht die Verfassung verletzt ist. Ich persönlich halte es für richtig, dass wir uns die Frage noch mal vornehmen.
„ne bis in idem“ – niemand darf zweimal in derselben Sache angeklagt werden. Wenn der Satz nicht mehr gilt, steht jeder Freispruch unter Vorbehalt. Ich bin nicht allein mit meinen Bedenken. Viele Abgeordnete in der Ampel-Koalition teilen sie. Auch das BMJ in der letzten Legislaturperiode hatte ja erhebliche Bedenken und hat an der Erarbeitung des Gesetzes nicht mitgewirkt. Viele hatten gehofft, dass der Bundespräsident das Gesetz nicht ausfertigen würde. Jetzt ist es eine Frage des Gesetzgebers. Eine Gesetzesinitiative zur Aufhebung des Gesetzes wäre wohl der beste Weg.
Meine Aufgabe als Parlamentarier und auch als Justizminister ist es, bewährte Grundsätze unserer Verfassung zu verteidigen. Und ich glaube nicht, dass es Sinn machen würde, sie in diesem Punkt zu verändern.
Sie sehen: Entlastung allerorten.
Zwei Punkte sind mir abseits davon heute und hier noch wichtig.
Wir werden in dieser Legislaturperiode die Bürgerrechte stärken, Freiheit und Sicherheit neu austarieren. Freiheitseinschränkungen müssen sich künftig wieder stärker als verhältnismäßig und unumgänglich legitimieren, um stattfinden zu können.
Wir streichen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Wenn jeder damit rechnen muss, dass vieles über seine Kommunikation ohne Anlass gespeichert wird, dann fühlt sich niemand mehr frei. Gerichte haben die Anwendung immer wieder gestoppt.
Mein Vorschlag ist: Telekommunikationsanbieter sollen beim konkreten Anlass einer schweren Straftat, die sich ereignet hat, schnell Daten sichern müssen – zunächst bei sich, ohne sie an die Ermittlungsbehörden herauszugeben. Schon für die Sicherungsanordnung soll ein Richtervorbehalt gelten – allerdings mit einer für die Praxis wichtigen Eilkompetenz für die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen. Ein Quick Freeze also. Bevor Polizei und Staatsanwaltschaft die Daten dann auswerten können, muss erneut ein Richter über Ausmaß und Umfang der zu übermittelnden Daten entscheiden. Das ist ein rechtsstaatlich sauberes Verfahren und ein Ermittlungsinstrument für die Aufdeckung von Straftaten. Ich hielte das für einen Gewinn für Freiheit und Sicherheit zugleich.
Wir werden auch die Eingriffsschwellen für den Einsatz von Überwachungssoftware hochsetzen und das geltende Recht so anpassen, dass der Einsatz nur nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes für die Online-Durchsuchung zulässig ist.
Wir werden insgesamt eine grundrechtsschonende und evidenzbasierte Sicherheitspolitik machen. Also kein Grund für Sorge; ein Grund zur Freude.
Mein letzter Punkt ist noch einmal ein Dank.
Wir stehen alle seit zwei Monaten unter dem erschütternden Eindruck eines Krieges in Europa. Eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges. Wir stehen unter dem erschütternden Eindruck dieses Krieges – aber wir befinden uns nicht in einer Schocklähmung. Das Recht, Gerichte, Ermittlungsbehörden sind aktiv und geben Hoffnung.
Der Internationale Gerichtshof in Den Haag hat, wie Sie wissen, in einem Eilverfahren entschieden, dass der russische Angriff auf die Ukraine unverzüglich gestoppt werden müsse und Putins sogenannte völkerrechtliche „Begründung“ des Angriffs eine Lüge ist. Das war mutig und wegweisend.
Auf vielen Ebenen werden derzeit Beweise für völkerstrafrechtliche Verbrechen Russlands gesichert. Der Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof ermittelt. Eurojust koordiniert die Ermittlungen innerhalb der Europäischen Union. Der Generalbundesanwalt ermittelt im Rahmen eines Strukturermittlungsverfahrens.
Wir Deutschen stehen hier in einer besonderen historischen Verantwortung. Und wir haben schon Folterknechte Assads in Deutschland nach dem Weltrechtsprinzip vor Gericht gestellt. Und wir werden auch russische Kriegsverbrecher in Deutschland vor Gericht stellen, wenn wir ihrer habhaft werden.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz weist in seiner Bedeutung weit über Deutschland hinaus. Verbrechen gegen die Menschlichkeit dürfen nicht straflos bleiben. Und zwar egal wo sie begangen werden, egal wer sie verübt. Diese Pionierarbeit der deutschen Gerichte verdient es, weltweit wahrgenommen zu werden.
Deshalb halte ich es für gut, wenn eine Datenbank geschaffen wird, auf der weltweit deutsche Urteile in englischer Fassung zu finden sind. So können diese, Ihre, Urteile international Maßstäbe setzen.
Kriegsverbrecher können sich nirgendwo auf der Welt sicher fühlen. Erst recht nicht in Deutschland.
Sie stehen dafür, dass wir das so zuversichtlich aussprechen!
Danke für Ihre unersetzliche Arbeit!