Sehr geehrter Herr Professor Mellinghoff,
sehr geehrter Herr Dr. Thesling,
Herr Professor Jatzke hat gerade Sie alle, diesen wahrlich beeindruckenden Kreis umfassend begrüßt, und ich schließe mich einfach an und sage:
meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich freue mich sehr, hier bei Ihnen zu sein. Bei Ihnen, den Anwesenden, und hier, in diesem prächtigen Saal.
Was für ein schöner Ort, um diesen Amtswechsel endlich zu feiern!
Endlich, sage ich, denn die Corona-Pandemie hat uns lange einen Strich durch alle Feiern gemacht. Jede Zusammenkunft ist für mich daher immer noch ein eigener Grund zur Freude.
Endlich, dachten vielleicht auch einige von Ihnen, als mit dem Antritt von Herrn Dr. Thesling das Amt des Gerichtspräsidenten besetzt wurde.
Der Bundesfinanzhof hat ja ein paar Monate in etwas unruhiger See verbracht. Dass er da gut durchgekommen ist, liegt auch an der früheren Vizepräsidentin Frau Meßbacher-Hönsch, an Herrn Wendt und an Herrn Professor Schneider, die in dieser Zeit nacheinander kommissarisch das Präsidentenamt übernommen und dafür gesorgt haben, dass das Gericht niemals führungslos war. Dafür danke ich Ihnen sehr herzlich!
So eine Rede zum Amtswechsel ist für den Redner ja immer ein Drahtseilakt. Es gilt, Willkommen und Abschied in Balance zu halten. Das Willkommen soll nicht den Eindruck erwecken, man freue sich über den Abschied, der Abschied soll nicht wirken, als ob man nun vom goldenen direkt ins eiserne Zeitalter stürze.
Nun hat man es zum Glück mit Ihnen, Herr Professor Mellinghoff, und mit Ihnen, Herr Dr. Thesling, mit zwei derart gestandenen Richtern und Persönlichkeiten zu tun, dass man sich keine Sorgen machen muss, der eine sehe sich durch ein Lob der Verdienste und Fähigkeiten des jeweils anderen in seinem „Standing“ gemindert.
Lob Ihrer Verdienste und Fähigkeiten, sehr geehrter Herr Mellinghoff: Wo soll man da anfangen?
In Ihrer Zeit als Richter am Bundesverfassungsgericht sollen Sie mal als „heimlicher Außenminister“ des Gerichts bezeichnet worden sein [angeblich in einer Rede des damaligen Präsidenten Andreas Voßkuhle], weil Sie unermüdlich durch die Welt reisten und für die Idee der Freiheit warben. Dafür habe ich, wie Sie sich vorstellen können, vollste Sympathie. Und auch braucht die internationale Politik werbende und mahnende Worte für Freiheit und Selbstbestimmung der Völker.
Ich schätze, es ist diese Begeisterung für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, die Sie recht früh in Ihrer juristischen Karriere, Anfang der neunziger Jahre, nach Mecklenburg-Vorpommern gebracht hat; denn dort waren Sie als Referatsleiter im Justizministerium zuständig für den Aufbau der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit. Was auch zeigt: Ihre Begeisterung bedeutet nicht nur, für die Freiheit das Wort zu ergreifen, sondern für sie tätig zu werden und Strukturen zu schaffen.
Es folgte der Wechsel in eben diese Gerichtsbarkeit, und das führte Sie bereits 1997 an den Bundesfinanzhof. 2001 gingen Sie dann ans Bundesverfassungsgericht, um 2011 an den Bundesfinanzhof zurückzukehren, an dem Sie neun Jahre das Amt des Präsidenten innehatten.
In diesen neun Jahren waren Sie ein äußerst engagierter, wortgewaltiger und diskussionsfreudiger Präsident, durchaus mit Ansprüchen an die Politik, ein Präsident, der für alle Urteile seines Hauses, egal aus welchem Senat sie kamen, gleichermaßen einstand, sie erklärte und wenn nötig verteidigte. Erinnert sei hier nur an die Attac-Entscheidung, die damals für viel Aufregung sorgte. [Attac wurde die Gemeinnützigkeit aberkannt.]
Als Vorsitzender des IX. Senat waren Sie in Ihrer Amtszeit zudem selbst an vielen bedeutenden Entscheidungen beteiligt, die ich hier nicht einzeln aufzählen kann, aber es waren darunter, so beurteilte es die Fachwelt, „Paukenschläge“ – was in der Regel bedeutet: dem Gesetzgeber wurden die Leviten gelesen.
Dass Sie auch als Präsident das „Außen“ weiter im Blick hatten, zeigt der Austausch, den Sie organisierten, mit den obersten Bundesgerichten im deutschsprachigen Raum, aber auch mit Gerichten anderer europäischer Länder.
Unter Ihrer Ägide hat sich das Haus außerdem mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt: Die Ausstellung „Vom Reichsfinanzhof zum Bundesfinanzhof“ beleuchtete eingehend die Verbrechen während der Naziherrschaft.
Mit Ihrer überragenden Kompetenz, Ihrem Scharfsinn und Ihrer intellektuellen Offenheit haben Sie sich, Herr Mellinghoff, um den Bundesfinanzhof und um die Finanzrechtsprechung in beeindruckender Weise verdient gemacht. Dafür danke ich Ihnen ganz herzlich!
Mit Ihrem Ausscheiden als Präsident sind Sie der Jurisprudenz zum Glück nicht verloren gegangen; ja ich kann mir kaum vorstellen, dass Sie in Ihrem Ruhestand weniger Arbeit haben als zuvor. Denn Sie sind wissenschaftlicher Direktor des Instituts Finanzen und Steuern e.V. (ifst), gefragter Sachverständiger und Mitglied verschiedener Vereine und Beiräte.
Außerdem sind Sie nicht nur dem Recht verbunden geblieben, sondern auch der Digitalisierung – ein Feld, das Sie schon lange aufmerksam beobachten, spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Wahlrechtscomputern, bei dem Sie Berichterstatter waren.
Sie sind nicht nur im Beirat des Instituts für Digitalisierung im Steuerrecht, sondern auch Vorstandssprecher des Zentrums für Digitalisierung des Steuerrechts der LMU (LMUDigiTax) und nach wie vor aktiv auf Twitter, wenn ich das richtig gesehen habe.
Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann: dass uns Ihre Expertise auf dem Gebiet des Finanz- und Steuerrechts, des Rechts allgemein und der Digitalisierung lange zur Verfügung steht. Das ist ein Schatz an Sachverstand und Erfahrung. Ich wünsche Ihnen daher nicht nur alles Gute für Ihre neuen Aufgaben, sondern sage auch ehrlich optimistisch: Auf Wiedersehen!
Ein Wiedersehen, sehr geehrter Herr Thesling, erleben wir ja gerade, denn ich hatte bereits im Januar das Vergnügen, Sie in Ihr Amt einzuführen.
Damals sagte ich, Sie brächten hervorragende Voraussetzungen für die Übernahme des Präsidentenamtes mit: profundeste Kenntnis des Steuerrechts unter anderem durch Ihre Tätigkeit in der Finanzverwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen und später als Richter am Finanzgericht Düsseldorf – von 2016 bis 2018 übrigens als dessen Präsident; und umfassende Verwaltungs- und Führungserfahrung etwa als Ministerialdirektor und Leiter der Zentralabteilung im nordrhein-westfälischen Justizministerium und natürlich als Gerichtspräsident.
Ihre hervorragenden Fähigkeiten haben sie sofort mit voller Kraft in den Dienst des Bundesfinanzhofes gestellt.
In den ersten Monaten Ihrer Amtszeit haben Sie das Amt des Präsidenten mit höchster fachlicher Kompetenz, großer Umsicht und einem feinen Gespür für den richtigen Ton geführt. Das ist nicht nur meine Außensicht. Wie Sie gleich zu Beginn den Bundesfinanzhof durch eine personell nicht ganz einfache Situation manövriert und dabei die Dinge stetig verbessert haben, das hat viele beeindruckt. Aus dem Haus höre ich, dass – und ich zitiere hier – „alle sehr froh sind, dass Herr Thesling da ist.“
Ich bin es auch.
Und ich wünsche Ihnen weiterhin den Erfolg, den Sie in diesen ersten Monat bereits gehabt haben.
Zu einem dieser Erfolge gehört übrigens die Einführung der E-Akte.
Der Bund hat den Bundesgerichten und dem Generalbundesanwalt ja das Ziel gesetzt, bis zum 1. Januar 2024 vollständig auf die führende elektronische Akte umzustellen. In diesem Haus haben Sie das – ein Wort das jedes Juristenherz höherschlagen lässt – vorfristig geschafft, wobei vorfristig verschleiert, wie viel früher als geplant Sie das geschafft haben:
bereits seit dem 1. September dieses Jahres werden die eingehenden Verfahren in allen Senaten ausschließlich elektronisch geführt. So etwas erreicht man nur durch großes Engagement aller Beteiligten, und dafür möchte ich daher auch allen Beteiligten ganz herzlich danken.
Diese technische Fortschrittlichkeit wird sich bald architektonisch fortsetzen, denn auf dem Grundstück des Fleischerschlösschens stehen Baumaßnahmen an:
Der BFH soll einen Neubau mit zwei elektronischen Gerichtssälen erhalten, dazu einen eigenen Eingang für die Öffentlichkeit. Wir werden so die Liegenschaft räumlich und technisch optimieren und dabei dem historischen Gebäude Rechnung tragen. Mögliche Entwürfe werden im November vorgestellt.
Meine Damen und Herren, wir wissen alle, wie es in Deutschland mit Bauvorhaben laufen kann – ein Grund übrigens, warum wir uns als Regierung um schnellere Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren bemühen. Einen genauen zeitlichen Ablauf kann ich Ihnen daher heute nicht präsentieren, aber es ist klar:
Wir alle wollen, dass diese Gerichtssäle zügig kommen: Sie wollen das, das BMJ will das und erfreulicherweise will das, wie ich höre, auch die Münchener Bauverwaltung. Wir ziehen hier alle an einem Strang. So soll es sein, wenn es um die praktischen Arbeitsvoraussetzungen unseres Rechtstaats geht!
Dieses Gericht hat die beste technische und räumliche Ausstattung verdient.
Wir zeigen den Bürgerinnen und Bürgern damit, dass wir es ernst meinen mit der Stärkung der Justiz – auch wenn eben diese Justiz dafür zu sorgen hat, den Staat in seinen Kompetenzen und seinem finanziellen Begehren zu beschränken.
Das hat sich gerade wieder gezeigt an der Entscheidung, mit der der Bundesfinanzhof die unangekündigte Besichtigung der Wohnung durch das Finanzamt für rechtswidrig erklärte. Auch wenn es ums Geld geht, bleibt die Wohnung, bleibt das Haus durch das Grundgesetz geschützt. Oder in der englichen Tradition gesagt: My home is my castle!
Der Bundesfinanzhof hat einen entscheidenden Anteil daran, dass die grundrechtlichen Fundamente unserer Steuerrechtsordnung, ihre europarechtliche Einbettung, ihre Funktionsfähigkeit und ihre Akzeptanz gewahrt und gepflegt werden.
Er ist Mit-Garant jener Balance, die unsere Verfassung so glücklich geschaffen hat und die unseren Rechtsstaat ausmacht.
Wir sehen gerade, meine Damen und Herren, wie die Prinzipien, die diesem Rechtsstaat zugrunde liegen, herausgefordert werden wie lange nicht mehr.
Wir erleben, wie der Neoautoritarismus, der überall auf der Welt um sich greift, glaubt, uns, der freien Welt, beweisen zu können, dass liberale Demokratien schwach seien, dass das Recht schwach sei und dass die Idee der Menschenrechte, die Idee des Völkerrechts von Schwächlingen stamme.
Der Neoautoritarismus täuscht sich, Putin und seine Bewunderer täuschen sich, und seine Nachahmer werden sich ebenso täuschen.
Die liberalen Demokratien stehen geschlossen zusammen, die Herrschaft des Rechts gilt weiterhin, und die Freiheit wird entschlossen verteidigt.
Was der Neoautoritarismus für unsere Schwäche hält, ist unsere Stärke. Denn es sind gerade unsere Prinzipien, die Prinzipien dieses Rechtsstaats, die uns stark machen, die unsere Institutionen stark machen und dank derer wir aktuelle und künftige Herausforderungen meistern werden.
Und eben diese Prinzipien feiern wir heute mit diesem Amtswechsel auch: Demokratie, Freiheit und die Herrschaft des Rechts.
Ich danke Ihnen!