Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Heute auf den Tag genau vor neun Monaten hat Russland die Ukraine überfallen. Dieser Überfall war nicht nur ein Verbrechen an sich. Dieser Krieg wird in verbrecherischer Weise geführt. Deshalb ist das nicht nur ein Angriff auf Freiheit, auf Selbstbestimmung und auf Demokratie; das ist ein Angriff auf das Völkerrecht. Deshalb haben alle zivilisierten Staaten, hat Deutschland, hat die Bundesregierung, haben wir - ich hoffe, wir haben hier einen Konsens im Haus - die verdammte Pflicht, sicherzustellen, dass das Völkerrecht und das Völkerstrafrecht nicht nur auf dem Papier geschrieben stehen. Wir stehen dafür ein, dass der Satz: „Wenn die Waffen sprechen, schweigt das Recht“ der Vergangenheit angehört. Wir alle gemeinsam haben die Pflicht, sicherzustellen, dass wir an einer Welt arbeiten, in der der Satz gilt: „Wenn die Waffen sprechen, lässt sich das Recht nicht den Mund verbieten“, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Es ist diese gemeinsame Überzeugung, die mich nach Washington, nach New York, die mich vor Kurzem erst nach Kiew geführt hat. Ich habe in Washington mit meinem amerikanischen Kollegen darüber gesprochen, wie wir noch effektiver zusammenarbeiten, um diesem Gedanken zur Wirklichkeit zu verhelfen. Ich habe in New York mit Vertretern der Vereinten Nationen gesprochen, ich habe mit beiden ukrainischen Botschaftern in den USA - bei den Vereinten Nationen und bei der dortigen Bundesregierung - gesprochen, und ich habe mir in Kiew die Lage erläutern lassen. Deshalb haben wir zu einem weiteren Schritt gegriffen, der schon jetzt historisch ist: Das erste Mal in der Geschichte werden die Justizminister der G-7-Staaten hier in Berlin zusammenkommen, um dafür zu sorgen, dass wir effektiv und unter Berücksichtigung der besonderen Situation von Opfern und Zeugen schlimmster Kriegsverbrechen effektiv ermitteln. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, und zwar vor dem Hintergrund unserer Geschichte und nicht nur, weil wir die G-7-Präsidentschaft innehaben. Es ist das Erbe von Nürnberg, es ist das Erbe unserer Geschichte, das uns dazu bringen muss, eines sicherzustellen: Nirgendwo auf der Welt dürfen sich Kriegsverbrecher sicher fühlen, erst recht nicht hier in Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Der verbrecherische Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ist das schlimmste Symptom einer Entwicklung, die schon seit Längerem im Gange ist, nämlich einer offenen Konfrontation zwischen dem Gedanken der liberalen Demokratie auf der einen Seite und einem neuen Autoritarismus auf der anderen Seite. Das ist natürlich nicht über Nacht gekommen. Deshalb ist es, glaube ich, richtig, sich jetzt die Frage zu stellen: Wie kam das eigentlich?
Es ist ja einmal völlig anders gewesen. In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts hatte die liberale Demokratie eine Strahlkraft auf der ganzen Welt, hatte das, was man Soft Power genannt hat, sodass man glaubte, irgendwann brauche man vielleicht gar keine Hard Power mehr. Menschen fast auf der ganzen Welt haben sich gewünscht, so zu leben, wie wir es tun. Das hatte sicherlich mit zwei Dingen zu tun - ich will das heute in Erinnerung rufen, weil darüber zum Teil etwas oberflächlich gesprochen wird -: Das eine Element war, dass durch die Art und Weise, wie wir leben, wir jedem einzelnen Menschen Würde und Recht zuteilwerden lassen. Diese Strahlkraft hat nach der Jahrtausendwende an Einfluss eingebüßt, als wir überall, auch in den liberalen Demokratien, im Rahmen des „War on Terror“ tief - viel zu tief, wie wir heute wissen - in die bürgerlichen Freiheitsrechte eingegriffen haben und sich Menschen auf der ganzen Welt gefragt haben: Ist das nicht ein innerer Widerspruch?
Ich möchte deshalb heute sagen: Wer angesichts des russischen Angriffskriegs der Meinung ist, dass eine liberale, das heißt, eine an Verhältnismäßigkeit und den Grundrechten orientierte Kriminal- und Sicherheitspolitik aus der Zeit gefallen wäre, denen sage ich: Jetzt erst recht. - Denn wir müssen zeigen, dass wir auch in Zeiten der Krise zu unseren eigenen Werten stehen. Das macht uns nach außen glaubwürdig, meine Damen und Herren.
Ich will noch eines sagen, Herr Kollege Krings: Wenn wir China anlasslose massenhafte Speicherung von personenbezogenen Daten vorwerfen, dann dürfen wir sie selbst nicht betreiben. Das ist rechtlich nach innen, und das schafft Glaubwürdigkeit nach außen, Herr Kollege.
Der zweite Grund dafür, dass diese Strahlkraft, die die liberalen Demokratien einmal hatten, vielleicht nachgelassen hat, ist aber auch etwas Anderes. Es ist die Beobachtung gewesen, dass die Menschen in der Welt gesehen haben, dass die Art und Weise, wie wir unser Gemeinwesen organisieren, sehr lange auch wahnsinnig erfolgreich war. Wir haben Wohlstand geschaffen, wir haben eine öffentliche Infrastruktur geschaffen, wir konnten sozialen Ausgleich schaffen, und wir haben die Erkenntnisse der Wissenschaft sehr schnell für die Bürgerinnen und Bürger nutzbar gemacht. Aber daran hat sich auch etwas geändert. Das hat sich zum Beispiel in der Finanzkrise geändert, als die Welt beobachten konnte, dass wir selber ins Wanken geraten sind und nicht mehr so erfolgreich waren.
Deshalb ist es so wichtig, dass liberale Demokratie auch Erfolg schuldet. Deshalb müssen wir bei der Planungsbeschleunigung Tempo machen, und deshalb bin ich stolz darauf, dass wir den kleinen, bescheidenen Beitrag, den wir als Rechtspolitik leisten können, als Erstes mit einem Entwurf zur Reform der Verwaltungsgerichtsordnung geleistet haben, um ein Beschleunigungsgebot im deutschen Rechtssystem sicherzustellen, um die Energiewende und um Infrastrukturprojekte schnell voranzubringen. Wir schulden Erfolg.
Ich will sagen: Das gilt natürlich auch für die Nutzung der Digitalisierung. Da geht es auch um die Akzeptanz des Rechtsstaates. Die Bürgerinnen und Bürger, die heute in ihren Dienstleistungsberufen digital arbeiten, die in wenigen Minuten einen Streaming-Dienst buchen, wollen nicht den Eindruck haben, dass die Justiz wie im letzten Jahrhundert arbeitet. Deshalb finde ich es richtig, dass wir uns dahinterklemmen, dass der Staat digital wird. Digitalisierung ist nicht L’art pour l‘art, Digitalisierung steht im Dienste der Bürger. Deshalb ist Digitalisierung Dienst an der Demokratie und an der Akzeptanz des Rechtsstaates, meine lieben Damen und Herren.
Deshalb will ich eines sagen und komme damit auch zum Schluss. Wenn uns ein Mangel an Engagement dort vorgeworfen wird, dann will ich darauf hinweisen: Das Bundesministerium der Justiz führt von vorne. Wir haben die Einführung der elektronischen Akte abgeschlossen. Wir beginnen mit der Einführung des elektronischen Workflows. Alle Gerichte und Behörden meines Geschäftsbereiches werden vermutlich im nächsten Jahr die E-Akten-Einführung abgeschlossen haben; viele haben es schon getan. Wenn man sich einen digitalisierten Gerichtssaal anschauen will, gehe man zum Bundespatentgericht nach München. Wir machen Tempo bei der Digitalisierung, und das ist wichtig; denn wir schulden Erfolg zur Akzeptanz unserer Demokratie.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.