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Bundestagsrede zur Reform des Sanktionenrechts

Rede von Dr. Marco Buschmann, Bundesminister der Justiz, zur Ersten Lesung des Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts im Deutschen Bundestag am 15. März 2023

Rede
Dr. Marco Buschmann

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und liebe Zuschauer! Wir starten heute eine historische Reform; denn dieser Gesetzentwurf enthält eine Überarbeitung der Ersatzfreiheitsstrafe. Das ist längst überfällig. Zehnmal ist es probiert worden, zehnmal ist es gescheitert. Wir machen es jetzt, und es wird höchste Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was hat es mit der Ersatzfreiheitsstrafe auf sich? Wenn jemand zu einer Geldstrafe verurteilt wird, die er aber nicht bezahlen kann oder bezahlen will, dann tilgt er diese Geldstrafe durch Hafttage. Es gibt immer wieder die Frage, ob man dieses Instrument überhaupt braucht. Ich will sagen: Ja, wir können darauf nicht verzichten. - Wir wissen das; das ist faktenbasiert nachgewiesen. In Schweden etwa sind über 40 Prozent der im Jahr 2015 ausgesprochenen Geldstrafen über die Jahre verjährt. Warum? Weil Schweden versucht hat, faktisch ohne das Instrument der Ersatzfreiheitsstrafe auszukommen. Aber der Rechtsstaat kann es doch nicht akzeptieren, wenn in einer bestimmten Kategorie von Strafurteilen fast die Hälfte dieser Urteile konsequenzlos im Raum verhallt. Das kann sich der Rechtsstaat nicht leisten.
Die Ersatzfreiheitsstrafe ist ein notwendiges Instrument.

Wir müssen diese Strafe aber ändern, weil der Umrechnungsmaßstab von Geldstrafe in Hafttage einfach nicht passt; denn 24 Stunden Haft, 24 Stunden Verlust der persönlichen Freiheit, auch der Bewegungsfreiheit, wiegen natürlich schwerer als der ökonomische Gegenwert von sechs bis acht Stunden Arbeit. Deshalb werden wir diesen Umrechnungsmaßstab verändern, und zwar orientiert an dem, was Expertinnen und Experten bereits seit vielen Jahren vorschlagen: Wir halbieren diesen Umrechnungsmaßstab, und damit werden wir aus der grundrechtlichen Perspektive dem Anspruch der Betroffenen auf Freiheit wesentlich gerechter und können trotzdem einen Anreiz setzen, die Haftstrafe durch Zahlung der Geldstrafe zu vermeiden.
Wir tun aber noch mehr als das: Wir sorgen dafür, dass wir Ratenzahlungsangebote machen.

Wir sorgen dafür, dass durch die Ableistung sozialer Arbeit Ersatzfreiheitsstrafen vermieden werden können. Wir sorgen dafür, dass Menschen, die Sprachprobleme haben, in einer Sprache, die sie verstehen, über diese Möglichkeit aufgeklärt werden. Wir stärken auch die Träger sozialer Arbeit und die Gerichtshilfe in dem Bemühen, möglichst eine Ersatzfreiheitsstrafe zu vermeiden. Denn wenn jemand zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist, dann müsste es unser aller Ziel sein, dafür zu sorgen, dass diese Geldstrafe möglichst auch bezahlt wird und die Menschen dafür nicht ins Gefängnis wandern.

Diese Reform entlastet auch die Länder finanziell massiv. Wir gehen davon aus, dass die Ersatzfreiheitsstrafe im Jahr Gesamtkosten von etwa 200 Millionen Euro verursacht. Diesen Betrag kann man natürlich nicht einfach halbieren, weil es auch fixe Kosten gibt, die sich nicht ändern. Aber wir können davon ausgehen, dass ein substanzieller zweistelliger Millionenbetrag an Entlastung für die Länder ansteht. Meine Erwartungshaltung ist, dass diese Einsparungen nicht in den allgemeinen Länderhaushalten versickern, sondern dass dieses Geld in der Justiz bleibt und genutzt wird, weil es eine strukturelle Entlastung ist, auch um die Justiz personell und sachlich zu stärken. Diesen Appell richte ich an die Länder von dieser Stelle.
Wir tun mit unserem Reformvorschlag aber noch mehr: Wir verbessern den Maßregelvollzug. Sie wissen alle: Ein wichtiges Element sind Entzugseinrichtungen, weil es auch immer wieder Menschen gibt, die straffällig geworden sind, auch im Zusammenhang oder aufgrund ihrer Drogen- oder Alkoholkrankheit. Deshalb ist es im Interesse der Resozialisierung, dass diese Einrichtungen gut funktionieren.

Sie sind aber in den letzten Jahren bis an den Rand ihrer Arbeitsfähigkeit gebracht worden, weil es gewissermaßen einen Run auf diese Einrichtungen gab; es gibt nämlich einen Fehlanreiz: Viele haben sich dort gemeldet, die gar nicht therapiefähig und -willig sind. Sie sind dort gelandet, weil es da einfach schnellere Möglichkeiten zur Entlassung gab. Deshalb haben wir die Voraussetzungen nachgeschärft. Wir sorgen dafür, dass diese wichtigen Einrichtungen besser arbeiten können, dass sie sich konzentrieren auf diejenigen, die therapiefähig und -willig sind. Auch das stärkt die Resozialisierung und diese wichtigen Einrichtungen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Schließlich nehmen wir eine wichtige Änderung im Strafzumessungsrecht vor, nämlich bei den sogenannten menschenverachtenden Motiven für Straftaten. Wenn in diesem Land jemand meint, dass er eine Frau schlagen oder umbringen kann, weil sie ein Mensch zweiter Klasse wäre, weil er glaubt, dass sie sein Eigentum wäre, oder weil es sonst irgendeinen Grund geben soll, warum man Frauen nicht genauso respektieren sollte wie Männer, dann können wir dies in Zukunft als strafschärfendes Motiv in der Strafzumessung besser berücksichtigen. Und das ist, glaube ich, richtig so.
Das gilt genauso für schwule, lesbische oder auch queere Menschen. Warum tun wir das? Weil sich jeder Mensch in unserer Gesellschaft sicher und auch durch das Strafrecht geschützt fühlen muss. Deshalb ist es gut, dass wir dieses Reformpaket heute auf den Weg bringen.

‒ Es gilt das gesprochene Wort! ‒

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