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Rede zur Eröffnung der Ausstellung „gefährdet leben. Queere Menschen 1933-1945“

Begrüßungsworte von Minister Dr. Marco Buschmann bei der Eröffnung der Ausstellung „gefährdet leben. Queere Menschen 1933-1945“ am 29. November 2023 im Paul-Löbe-Haus in Berlin

Rede
Dr. Marco Buschmann

Sehr geehrte Frau Präsidentin des Deutschen Bundestags, liebe Frau Bas,
lieber Herr Metzner,
sehr verehrte Gäste!

„Gefährdet leben“; nicht so leben und lieben dürfen, wie man es fühlt – das ist die Geschichte, die in dieser Ausstellung so eindringlich erzählt wird. Wir haben gerade erste bedrückende Einblicke in die individuellen Schicksale erhalten, die hier sichtbar gemacht werden.

Diese Geschichte ist gleichwohl nicht abgeschlossen. Sie ist noch nicht zu Ende. Das ist das zusätzlich Bedrückende, wenn wir uns dem stellen, was diese Ausstellung zeigt und schildert.

Diese Geschichte hat auch nicht erst mit den Nationalsozialisten begonnen. Man darf das nicht vergessen – über aller Kultur und Subkultur der 20er Jahre, die uns inzwischen so süffig und so reich an Orgien serienfilmisch vor dem inneren Auge stehen: Gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern blieb auch in der Weimarer Republik verboten und wurde mit Gefängnis und dem Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte bedroht.

Und die Befreiung vom Nationalsozialismus brachte dann eben nicht zugleich die Befreiung von staatlicher und gesellschaftlicher Sanktionierung nicht-heterosexuellen Liebens und Lebens.

Die Gerichte der Besatzungsmächte schickten die aus den Lagern befreiten Homosexuellen in reguläre Gefängnisse, damit sie ihre Strafen dort zu Ende verbüßten. Bundesdeutsche Staatsanwaltschaften fanden in den 50er Jahren nichts zu beanstanden an den vor 1945 ergangenen Urteilen. Zwischen 1950 und 1965, das zeigt die Ausstellung, erfolgten in der Bundesrepublik 45.000 Verurteilungen queerer Männer und nahezu 100.000 Ermittlungen.

In der DDR wurde das Sonderstrafrecht für homosexuelle Menschen 1988 abgeschafft, in der gesamten Bundesrepublik erst 1994. Die nationalsozialistischen Urteile gegen Homosexuelle hat der Deutsche Bundestag erst 2002 aufgehoben.

Dabei hat uns das Grundgesetz von Anfang an etwas ganz Anderes nahegelegt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“. Die Würde und die Freiheit des einzelnen Menschen waren von Anfang an der zentrale Auftrag des Grundgesetzes.

Aber dieser Auftrag wurde nicht in seinem ganzen Ausstrahlungsreichtum verstanden. Und ich denke, auch wenn wir heute weiter sind: Auch wir verstehen ihn vielleicht noch nicht in seinem ganzen Ausstrahlungsreichtum. Dies ist kein Auftrag, der irgendwann für immer erledigt ist. Es gibt kein Ende der Geschichte, und deshalb gibt es auch kein Ende der Frage, was Freiheit und Würde des einzelnen Menschen in der jeweils aktuellen Gegenwart bedeuten.

Das immerhin haben wir, glaube ich, heute verstanden. Deshalb fragen wir heute, welches Familienrecht der gesellschaftlichen Wirklichkeit besser entsprechen könnte.
Deshalb fragen wir, ob es Minderheiten gibt, denen unsere Rechtsordnung vielleicht noch nicht mit dem angemessenen Respekt gegenübertritt. Und damit erfüllen wir genau diesen ewigen Auftrag unserer Verfassung.

Kein Hinweis auf die Größe der Minderheit oder die Zahl der Betroffenen ist ein valides Argument dagegen, diesem Auftrag nachzukommen. Außen am Gebäude des Bundesministeriums der Justiz steht groß der Satz von Albert Einstein: Wenn es sich um Wahrheit und Gerechtigkeit handelt, gibt es nicht den Unterschied zwischen kleinen und großen Problemen. Das sagen wir jedem, der mit diesem Hinweis die entsprechenden Vorhaben diskreditieren will. Und wenn es nur Einer oder Eine wäre – die Würde jedes einzelnen Menschen ist unantastbar; und die Freiheit jedes einzelnen Menschen ist zu wahren und zu mehren dort, wo noch Unfreiheit ist.

Genau das hat sich diese Koalition zur Aufgabe gemacht. Und es ist hier schon einiges geschehen. Ich will nur nennen die bessere Erfassung und Strafzumessung mit Bezug auf queerfeindliche Straftaten. Solche Taten, die sich gegen die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Identität von Menschen richten, können nun härter bestraft werden.

Wir haben vor zwei Wochen das Selbstbestimmungsgesetz in Erster Lesung im Bundestag beraten. Das Grundgesetz schützt das Recht auf Achtung der geschlechtlichen Identität. Wir wollen es Menschen erleichtern, ihre empfundene Geschlechtsidentität gegenüber dem Staat zur Geltung zu bringen. Auch wenn es sich um eine kleine Gruppe handelt, so verdient sie den Respekt unserer Rechtsordnung.

Eckpunkte zu einer Reform des Abstammungsrechts haben wir erarbeitet und werden sie nun in der Koalition diskutieren. Neu regeln wollen wir etwa die gemeinsame Mutterschaft bei lesbischen Ehepaaren. Wir wollen ermöglichen, dass das Kind auch ohne Adoptionsverfahren eine rechtssichere Eltern-Kind-Beziehung zu beiden Frauen erhält. Zugleich muss es aber auch rechtssicher möglich sein, die Elternschaft in einer Konstellation zu regeln, in der sich ein schwules und ein lesbisches Paar verabreden, ein Kind etwa mittels Becherspende zu zeugen.

Auch die geplante Reform des Kindschaftsrechts ist unter anderem deshalb notwendig, weil es immer mehr Familien gibt, in denen soziale Elternteile neben die rechtlichen Eltern treten oder leibliche Elternteile nicht auch rechtliche Elternteile werden. Die Wirklichkeit ist vielfältig – da darf das Recht nicht einfältig sein.
Auch hier werden wir bald Eckpunkte vorlegen.

All das ist immer auch Arbeit an der Bereitschaft dieser Gesellschaft, Identitäten und Lebensentwürfe gelten zu lassen – eine Bereitschaft, die in unserer Geschichte mit so schrecklichen Folgen gefehlt hat, wie diese Ausstellung zeigt.

Und all das, was wir da vorhaben, geschieht im Geiste eines Satzes des ersten Justizministers der Bundesrepublik, meines Vorgängers Thomas Dehler: „Die Aufgabe des wahren Rechtes ist […]: dem Menschen die Freiheit zu geben, er selbst sein zu können.“

Verehrte Gäste,
ich habe sehr gern die Co-Schirmherrschaft für diese Ausstellung übernommen und danke der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld für die Projektleitung und allen Beteiligten für ihr Engagement.

Dies ist eine sehr eindringliche und bewegende Ausstellung. Ich wünsche ihr viele Besucherinnen und Besucher überall in der Republik. Möge sie dazu beitragen, dass über Empathie ein gelassenes Miteinander in dieser Gesellschaft wächst und Raum gewinnt!

Herzlichen Dank!

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