Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen! Liebe Zuschauer! Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist wahrscheinlich eines der schlimmsten Verbrechen, das wir uns vorstellen können. Die Opfer leiden häufig ein Leben lang unter den körperlichen und seelischen Verletzungen, die sie erleiden, und deshalb sieht unser Strafgesetzbuch zu Recht harte Strafen vor. Die Täter müssen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren rechnen. Das darf sich nicht ändern, das soll sich nicht ändern, und das wird sich nicht ändern, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Das Leid der Opfer wird vergrößert, wenn von diesen Missbräuchen Darstellungen - seien es Foto- oder Videoaufnahmen - hergestellt und verbreitet werden; denn das Bewusstsein, dass sich andere an der Darstellung des eigenen Leides Lust verschaffen, ist wahrscheinlich die schlimmste Persönlichkeitsrechtsverletzung, die man sich vorstellen kann. Deshalb kennt auch dafür unser Strafgesetzbuch harte Strafen. Bis ins Jahr 2021 hinein mussten Täter mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen. Diesen oberen Strafrahmen hat der Gesetzgeber im Jahr 2021 auf zehn Jahre verdoppelt. Auch daran soll und wird sich nichts ändern, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Der Gesetzgeber hat aber im Jahr 2021 dem § 184b Strafgesetzbuch, über den wir hier diskutieren, etwas Neues hinzugefügt: die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr. Das klingt intuitiv auch erst mal plausibel, wenn wir an die typischen Fälle denken, in denen sich Menschen Lust am Leid anderer Menschen verschaffen. Aber diese neue Regel in § 184b hat in der Strafverfolgungspraxis in den letzten Jahren zu schwerwiegenden Problemen geführt, und die will ich kurz erläutern. Dazu muss man wissen, dass die Beschreibung des Unrechts bei der Verbreitung kinderpornografischer Schriften, wie der Tatbestand heißt, eben so gut wie jede Verbreitung und so gut wie jedes Sich-Verschaffen erfasst. Das soll auch so sein, um die Persönlichkeitsrechte der Opfer gut zu schützen und um Umgehungstaktiken der Täter vorzubeugen. Das führt aber dazu, dass beispielsweise auch sogenannte Warnfälle erfasst werden. Was verbirgt sich dahinter? Stellen Sie sich vor: Eine Mutter entdeckt auf dem Handy ihres Sohnes solches Material, macht ein Foto davon, schickt es anderen Eltern und schreibt: Guckt mal, ob das nicht vielleicht auch auf den Handys euerer Kinder zu finden ist. Ihr müsst eingreifen. - Dann macht sie sich strafbar im Sinne dieses Gesetzes.
Es ist natürlich nicht in Ordnung, solches Material weiterzuleiten, weil es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung ist. In der Vergangenheit haben Staatsanwälte und Staatsanwaltschaften in solchen Fällen aber häufig mit einer Einstellung gegen Auflagen und Weisungen reagiert, weil sie der Auffassung waren: Es ist nicht in Ordnung, aber die Schuld ist hier so gering, dass wir auch mit einer einfacheren Form der Wiedergutmachung zurechtkommen können.
Die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr führt aber heutzutage in solchen Fällen dazu, dass die Staatsanwaltschaften öffentliche Klage erheben müssen, dass sie auf mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe plädieren müssen und dass die Gerichte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr aussprechen müssen. Hier ist die Reform eindeutig über das Ziel hinausgeschossen, meine sehr geehrte Damen und Herren.
Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern auch die von Strafverfolgern, Staatsanwälten und Richtern, quasi von allen, die beruflich mit der Verfolgung dieses Unrechts zu tun haben, und es ist auch der Wunsch eines einstimmigen Beschlusses der Justizministerkonferenz, dass wir dies korrigieren. Deshalb legt Ihnen die Bundesregierung genau für dieses Problem einen Korrekturentwurf vor. Wir wollen am unteren Strafrahmen des § 184b - nur dort - eine Korrektur vornehmen, die es den Staatsanwaltschaften wieder ermöglicht, in solchen Fällen geringer Schuld beispielsweise mit einer Einstellung gegen Auflagen und Weisungen zu reagieren. So kommen wir, glaube ich, wieder zu schuldangemessenen Rechtsfolgen, und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird wieder besser eingehalten, meine sehr geehrte Damen und Herren.
Eine Bitte habe ich noch zum Schluss. Ich möchte mich sehr herzlich dafür bedanken, dass viele Beteiligte - seien es die Landesjustizministerinnen und -justizminister, die Rechtspolitikerinnen und Rechtspolitiker in diesem Haus oder auch die vielen Teilnehmer an der medialen Debatte - es geschafft haben, dieses schwierige und emotionale Thema in einem sehr sachlichen Ton zu diskutieren. Wenn ich einen Wunsch äußern dürfte: Ich glaube, es wäre der Sache und auch den Opfern angemessen, dass wir uns alle gemeinsam bemühen, dieses schwierige Thema hier in einem möglichst sachlichen Ton zu diskutieren. Ich hoffe auf die wohlwollende Aufnahme des Gesetzentwurfs der Bundesregierung.
Herzlichen Dank.