Ich glaube, Sie werden mir alle zustimmen, wenn ich sage: Es ist gut, dass es diesen Hub jetzt gibt, und es ist schrecklich, dass es ihn geben muss.
Es muss ihn geben, denn die Menschenrechte geraten zusehends unter Druck, werden angezweifelt, ignoriert und verletzt. Das ist eine globale Entwicklung, aber momentan haben wir gerade in Europa eines der schlimmsten Beispiele dafür. In der Ukraine verübt Putins Soldateska täglich schwerste Menschenrechtsverletzungen: Mord, Vergewaltigung, Folter, Verschleppungen. Wir kennen alle die entsprechenden Berichte. Und doch: Man will es nicht für möglich halten, dass das wieder in Europa passiert.
Wir sollten uns aber einer topographischen Tatsache bewusst sein: Von Genf nach Butscha sind es ungefähr 1800 Kilometer. Nur ungefähr 1000 Kilometer sind es von Genf nach Srebrenica.
Die Jugoslawienkriege endeten 2001. Kein Vierteljahrhundert hat es also gedauert, bis in Europa wieder Menschenrechte mit Soldatenstiefeln getreten wurden. Vielleicht sind wir gar nicht der Kontinent des Friedens, der wir endlich hofften zu sein.
Wir sollten uns aber auch einer rechtshistorischen Tatsache bewusst sein: Mladić, Karadžić, Milošević, sie alle landeten auf der Anklagebank. Und dort werden auch die Verantwortlichen der Verbrechen in der Ukraine landen, wenn wir ihrer habhaft werden. Dessen bin ich sicher.
Was hat Putin mit seinem Krieg erreicht? Er hat Europa, er hat die freie Welt geeint gegen seinen Krieg.
Wir stehen zusammen gegen diesen Angriff auf alles, was uns wichtig ist – auf Freiheit und Recht, auf liberale Demokratie und auf ein Leben, wie wir es leben möchten.
Wir arbeiten europäisch und international in beispielloser Art zusammen, um die Verantwortlichen für schlimmste Völkerrechtsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen auch zur Verantwortung zu ziehen. Auf allen Ebenen wird ermittelt.
Wenn früher galt: Inter arma silent leges, Wenn die Waffen sprechen, schweigt das Recht – so muss es heute lauten: Wenn die Waffen sprechen, lässt sich das Recht nicht den Mund verbieten!
Das Völkerstrafrecht fußt auf einem kraftvollen Versprechen: Völkerrechtsverbrechen dürfen nicht straflos bleiben. Es liegt in unserer Verantwortung, dass wir dieses Versprechen halten, meine Damen und Herren!
Deswegen ist es ein wichtiges Zeichen, dass der Bundestag Anfang Juni unseren Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts beschlossen hat. Das Gesetz stärkt Opferrechte von Betroffenen von Völkerstraftaten, erleichtert die Rezeption deutscher Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch und schließt Strafbarkeitslücken im deutschen Recht. Der Straftatbestand des Verschwindenlassens ist beispielsweise nun explizit im deutschen StGB geregelt.
Die mediale Aufmerksamkeit ist momentan auf den Krieg gegen die Ukraine konzentriert. Das ist verständlich. Aber kein Opfer soll befürchten müssen und kein Täter soll hoffen dürfen, dass deshalb das Recht andere Schauplätze aus den Augen verliert.
Erst letzte Woche hat der deutsche Generalbundesanwalt fünf Beschuldigte festnehmen lassen, die an der gewaltsamen Niederschlagung einer friedlichen Demonstration gegen die syrische Regierung beteiligt waren. Ihnen wird vorgeworfen, in Syrien Menschen misshandelt und getötet zu haben. Sie haben nun bei uns in Deutschland mit einer Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu rechnen. Diese Festnahmen waren unter anderem möglich, weil wir sehr eng mit unseren schwedischen Partnern zusammengearbeitet haben. Das ist ein Beleg für die ganz praktische Bedeutung internationaler Kooperation bei der Verfolgung solcher Verbrechen.
Ich will in diesem Zusammenhang auf einen wichtigen Schritt hinweisen, der letztes Jahr gelungen ist und der vielleicht immer noch nicht so bekannt ist, wie er es verdient.
Über zehn Jahre hatte sich eine Gruppe von Staaten bemüht, ein Übereinkommen über die internationale Zusammenarbeit bei der Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und anderen internationalen Verbrechen auszuarbeiten.
Mit der diplomatischen Konferenz, die im Mai letztens Jahres in Ljubljana in Slowenien stattfand, sind wir hier nun einen wichtigen Schritt vorangekommen. Das ist in diesen Zeiten ein gar nicht zu überschätzendes Zeichen.
53 Staaten haben auf der Konferenz die „Ljubljana / The Hague Convention“ angenommen, 34 Staaten haben bisher gezeichnet– darunter Deutschland. Das Übereinkommen ist unabhängig von dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Es regelt insbesondere die horizontale zwischenstaatliche Zusammenarbeit bei der Verfolgung der genannten Verbrechen. Personen, die im Verdacht stehen, sich dieser Verbrechen schuldig gemacht zu haben, werden nun unter den Voraussetzungen der Ljubljana / The Hague Convention dem Strafanwendungsrecht der Vertragsstaaten unterfallen. Das Übereinkommen enthält auch eine Verpflichtung zur Kriminalisierung der benannten Straftatbestände.
Die Vertragsstaaten verpflichten sich gleichzeitig dazu, einander Beweise oder Informationen zu übermitteln und verdächtige Personen auszuliefern.
Das Ljubljana / The Hague Übereinkommen ist eine neue große Chance, gemeinsam entschlossen gegen die schlimmsten Verbrechen vorzugehen, die die Völkergemeinschaft kennt."
Meine Damen und Herren, es gibt natürlich auch Menschenrechtsverletzungen abseits von Kriegsschauplätzen, und zwar überall auf der Welt, auch in den Staaten der Europäischen Union. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist nicht als symbolische Institution eingerichtet worden.
Alle Mitgliedsstaaten des Europarates haben die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet und den Gerichtshof anerkannt.
Regelmäßig ergehen hier Urteile gegen die Unterzeichnerstaaten, also auch gegen Deutschland. Regelmäßig werden hier Bürgerinnen und Bürger wieder in ihr Recht gesetzt.
Dies ist eines der Prinzipien, die unsere Demokratien zu liberalen Demokratien machen: Wir wissen, dass alle staatliche Macht gemäßigt werden muss – selbst wenn sie demokratisch legitimiert ist.
Auch der demokratisch legitimierte Staat muss die unveräußerlichen Rechte des individuellen Menschen respektieren.
Und damit Rechte des Einzelnen den Staat auch wirklich mäßigen, ist es am besten, wenn man diese Rechte auch einklagen kann. Diesen Weg hat das Grundgesetz beschritten. Diesen Weg eröffnet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte allen Bürgerinnen und Bürgern seiner Mitgliedstaaten.
Das ist der große Unterschied zwischen Menschenrechtsverletzungen in autoritär regierten Staaten und liberalen Demokratien: Dort sind sie ein Mittel des Systems, hier sind sie ein Fehler des Systems; dort macht der Staat von ihnen Gebrauch, hier sind sie dem Staat untersagt.
Die Europäische Menschenrechtskonvention ist geprägt von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die letztes Jahr ihren 75jährigen Geburtstag feierte.
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist zwar rechtlich unverbindlich. Aber ihre ethische und politische Wirkung ist stark.
Diese Wirkung resultiert aus ihrer Universalität. Es gibt immer wieder Versuche, ihre Gebote zu relativieren. Oft wird der Vorwurf geäußert, dass hier der ganzen Welt eine westlich geprägte Sicht aufgezwungen werden solle. Doch die bedeutenden Menschenrechtsverträge sind von Staaten aller Kulturen und Religionen unterzeichnet worden.
Und es ist kein Opfer von Menschenrechtsverletzungen bekannt, das diese Verletzungen mit der eigenen Kultur oder Religion rechtfertigen würde.
Die Menschenrechte schützen keine westliche Kultur, sondern fundamentale Bedürfnisse des Menschen an sich – jenseits von Kultur, Religion oder Staatsorganisation.
Wer die Universalität der Menschenrechte anzweifelt, der sucht eine Rechtfertigung, Menschrechte zu verletzen.
Allerdings wollen sogar autoritäre Regime meist nicht offiziell gegen die Menschenrechte verstoßen. Genauso wollen sie offiziell nicht gegen das Völkerrecht verstoßen.
Das Recht erzeugt Begründungszwänge, denen sich sogar die notorischen Rechtsbrecher nicht entziehen können.
Die Menschenrechte schützen den Menschen. Sie schützen das Individuum. Zugleich sind es einzelne Personen, die sich für die Durchsetzung dieser Rechte einsetzen.
In seinem Buch Menschenrechte. Ein Appell schreibt der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum: „Im Laufe der Jahrzehnte ist immer stärker ins Bewusstsein gekommen, dass die Durchsetzung der Menschenrechte davon abhängt, dass Einzelne Widerstand gegen Willkür, Ausbeutung, Armut und Missachtung ihrer Bürgerrechte leisten.“
Es bedarf Einzelner, und in den meisten Fällen bedarf es mutiger Einzelner. Denn ohne Mut konnte man in Russland nicht Alexander Nawalny vor Gericht verteidigen. Ohne Mut kann man in Simbabwe nicht gegen Korruption und für Rechtsstaatlichkeit kämpfen. Ohne Mut kann man nicht gegen die Verächter der Menschenrechte bestehen.
Aber auch die Mutigen brauchen Hilfe, brauchen Mitstreiter, brauchen Aufmerksamkeit. Dieser Hub wird sie dabei unterstützen, die Hilfe zu erhalten, die Mitstreiter zu gewinnen und die Aufmerksamkeit zu erzeugen. Man kann daher dieser Einrichtung und allen, die mit ihr verbunden sind, nur allergrößten Erfolg wünschen.
Herzlichen Dank!